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Am 29. Oktober 2019 trafen sich in der Hansestadt Stendal beim Demografiedialog des Bundesinnenministeriums Akteure des Bundes und aus Sachsen-Anhalt, Bayern und Nordrhein-Westfalen. Am Beispiel des Landkreises Stendal diskutierten sie über den Umgang mit Leerstand in ländlichen Räumen. Die Veranstaltung ist die zweite in der Dialogreihe „Regionen stärken – Disparitäten verringern“ im Rahmen der Demografiestrategie der Bundesregierung.
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Der Landkreis Stendal liegt im Norden von Sachsen-Anhalt und umfasst zehn Städte und 268 Dörfer. Fast die Hälfte der Dörfer hat weniger als 100 Einwohner. Wie viele dünn besiedelte Regionen Regionen in Deutschland ist auch der Landkreis Stendal vom demografischen Wandel betroffen. Zwischen 1990 und 2018 ist die Bevölkerung von 156.000 auf 112.000 zurückgegangen, das heißt um 28 Prozent geschrumpft. Eine Folge: Leerstehende Gebäude und Wohnungen.
Gerade die vom demografischen Wandel stark betroffenen Regionen sollen von unseren Demografiedialogen profitieren, so Friederike Dahns, Leiterin des Referats Demografischer Wandel und gleichwertige Lebensverhältnisse im Bundesinnenministerium. Die Dialogreihe soll die Demografiestrategie der Bundesregierung „Jedes Alter zählt“ mit Leben füllen und Akteure vor Ort zusammenbringen, erläuterte sie bei der Begrüßung der Veranstaltung mit etwa 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
Anhand von Praxisbeispielen soll über die Chancen der demografischen Entwicklung im demografisch heterogenen Deutschland diskutiert und sollen übertragbare Ansätze zur Stärkung der Regionen sichtbar gemacht werden. Anknüpfungspunkte sind dabei die spezifischen Herausforderungen der Region, die Gastgeber für den Dialog ist. Dabei soll mindestens eine weitere Region als Partner und Vorbild dienen, die eine ähnliche Situation vor Ort, aber idealerweise schon Lösungen oder Ansätze hierfür gefunden hat.
Zur Eröffnung der Veranstaltung betonte Landrat Carsten Wulfänger, dass der Landkreis eine Menge zu bieten habe. Neben einer insgesamt hohen Lebensqualität gäbe es auch ausreichend Kita-Plätze und erschwingliches Eigentum. Leider erkennen das viele erst, wenn sie weggezogen sind. Seit 1990 ist die Bevölkerung um 40.000 Einwohnerinnen und Einwohner geschrumpft. Dies sei für den hohen Leerstand im Landkreis verantwortlich.
Er verwies auf die positiven Beispiele im Landkreis bei der Beseitigung von Leerstand, beispielsweise die gelungene Altstadtsanierung in der Hansestadt Stendal, Tangermünde und Werben. Insgesamt müsse es gelingen, dass die Menschen sich im Landkreis wohlfühlen. Das Leben auf dem Land sei ein Trend. Diesen gelte es durch die Stärkung der kleinen und mittelgroßen Orte zu unterstützen.
Althöfe (ehemals landwirtschaftlich genutzte Gebäude) und baukulturell wertvolle Altbauten in den Stadtkernen stehen im Landkreis Stendal sehr häufig leer. Dies erfordere unterschiedliche Strategien, zeigte Dirk Michaelis, Leiter des Bauordnungsamt des Landkreises Stendal, in seinem Impulsvortrag. Städtebaulich kann Leerstand durchaus wünschenswert sein für weitere Planungen, zum Beispiel bei Althöfen, die am Rande des Dorfs liegen. In historischen Altstädten kann Leerstand kompakte, städtebauliche Strukturen auflösen und damit zum Problem werden.
Michaelis stellte drei Thesen zur Diskussion:
Man müsse vom Umbauen von Städten und Dörfern zum Siedlungsumbau kommen. Dafür brauche es eine Bündelung der Ziele und eine regionale Handlungskulisse, fasste Michaelis zusammen.
Fördermittel wurden insgesamt als bedeutendes Instrument eingeschätzt. Der Stadtumbau, der in vielen Städten in den vergangenen Jahren einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung und Anpassung an den demografischen Wandel geleistet habe, müsse verstetigt werden. Zudem müsse ein Programm „Umbau Land“ für den ländlichen Kontext nutzbar werden, so einige Stimmen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
An Bund und Länder ging der Apell, eine möglichst übersichtliche und verständliche Förderstruktur zu schaffen. Wichtig sei zudem, dass Kommunen in Haushaltsnotlage dennoch Fördermöglichkeiten in Anspruch nehmen zu können. Ein Lösungsvorschlag war, den kommunalen Mitleistungsanteil vollständig von „Dritten“ zu übernehmen.
Um die neue Nutzung von Gebäuden voranzubringen, wurde dem Landkreis ein „Dorfmanager“ empfohlen, der die Fördermöglichkeiten im Blick hat und die Vernetzung im Landkreis etabliert. Vorbild ist hier das bayerische Programm „Marktplatz der Generationen“, die einen sogenannten „Kümmerer“ einsetzen.
Zu über 80 Prozent befinden sich die Leerstandsobjekte ausschließlich oder teilweise in der Hand privater Eigentümer, wie Sebastian Stoll, 2. Beigeordneter des Landkreises Stendal, anhand des Leerstandkatasters des Landkreises erläuterte. Das Problem: Vielfach könne oder wollen die Eigentümer sich nicht um ihr Eigentum zu kümmern. Hier sehen sich diverse Städte und Gemeinden überfordert.
Die Weiterentwicklung rechtlicher Regelungen wurde als wichtiges Instrument gesehen, um den Durchgriff auf „herrenlose“ Grundstücke zügiger zu erlauben, beispielsweise über eine neue Fristenregelung. Für die Ansprache schwieriger privater Eigentümer und Erbengemeinschaften wurde empfohlen, Beratungsangebote einzurichten. Es könnten Ansprechpartner auf Landkreisebene als „Demografielotsen“ etabliert werden. Sie könnten für die Verwaltungen kleinerer Städte und Gemeinden beispielsweise Beratung in Bezug auf die oft sehr komplexe Förderlandschaft und die Akquise von Fördermitteln anbieten.
Investoren für Altbaubestände zu finden, erachteten einige Teilnehmende wegen der hohen Sanierungskosten als besonders schwierig. Dies gelte noch einmal mehr für denkmalgeschützte Gebäude. Junge Familien bevorzugten daher eher ein neugebautes Einfamilienhaus und entschieden sich nicht für den Bestand, auch weil sie sich den Umbau nicht vorstellen können.
Der Landkreis Hof berichtete von sehr guten Erfahrungen mit einem Altbaumanager. Dieser berät interessierte Investorinnen und Investoren, um ihnen die „Angst vor dem Altbau“ zu nehmen. Das betrifft beispielsweise praktische Hinweise zu den Sanierungs- und Umbaumöglichkeiten des Objektes und zu geeigneten Fördermöglichkeiten der Instandsetzung und Modernisierung. Vorgeschlagen wurde darüber hinaus eine flächendeckende Überprüfung der Denkmalliste aus den 1990er Jahren, damit eine aktuelle und realistische Basis für die Bewertung von Altbauten vorliege.
In der Diskussion um neue Nutzungen von Gebäuden sahen die Teilnehmer Potenzial für folgende Bereiche: Tourismus, Kultur, Gewerbe und Produktion sowie neue Wohn- und Arbeitsformen. Eine Idee für neue Wohn- und Arbeitsformen sind Co-Working-Räume: Dort teilen sich beispielsweise Startups, Selbstständige und Freiberufler einen gemeinsamen Arbeitsbereich. Büroräume oder Häuser, aber auch leerstehende Fabrikhallen, kommen für Co-Working in Frage.
Aktuell erprobt die brandenburgische Stadt Wittenberge diesen Ansatz. In einer alten Ölmühle wurden zwanzig Arbeitsplätze eingerichtet. Nach den ersten Monaten des gemeinsamen Arbeitens von jungen Leuten aus Hamburg, Berlin und der unmittelbaren Umgebung gibt es bereits jetzt Überlegungen und Bemühungen, das Projekt in Wittenberge zu verstetigen.
Damit ist die Hoffnung verbunden, dass junge Kreative neue Ideen in ländliche Regionen tragen und diese Orte selbst für einen Zuzug entdecken. Während zu den langfristigen Erfolgsaussichten dieses Modells bislang kaum Erfahrungen vorliegen, wurde in der Diskussion deutlich, dass bereits in vielen Orten mit „Multi-Läden“, Dorfläden und weiteren Einrichtungen experimentiert wird, in denen mehrere Dienstleistungen kombiniert werden. Teilweise handelt es sich um temporäre Nutzungen. Als besonders vielversprechend wurden Ansätze gewertet, die mit einer Ankerfunktion einhergehen.
Video: Landkreis Stendal – Herausforderung Stadt- und Dorfumbau im demografischen Wandel
Eine besondere Rolle bei der Entwicklung und Umsetzung von Nutzungsideen und der Belebung von Leerstand spielen Vereine, Bürgerstiftungen und Bürgergenossenschaften. In Hann. Münden hat eine Bürgergenossenschaft bereits das dritte historische Fachwerkhaus in der Altstadt gekauft, um es zu sanieren.
Eine Vernetzung zwischen Verwaltung und zivilgesellschaftlichen Initiativen aber auch Einzelunternehmern und aktiven Schlüsselpersonen wurde in der Diskussion als ein wichtiges Instrument für den Wandel identifiziert. Um eine Haltung für bürgerschaftliches und gemeinwohlorientiertes Engagement zu schaffen, wurde die Bildung und Wertevermittlung an Kinder und Jugendliche als besonders wichtig eingestuft. Die Identifikation mit dem Ort sei eine bedeutende Grundlage für das Engagement.
In der Zusammenschau der Möglichkeiten wurde wiederum deutlich, dass auch die erfolgreiche neue Nutzung leerstehender Gebäude von Weichenstellungen in der Strukturpolitik von Bund und Ländern abhängt. Für die Gewährleistung der Daseinsvorsorge wurden Bund und Land deshalb besonders für die Umsetzung eines Ausbaus des Nahverkehrs und des Breitbandes als Schlüsselakteure identifiziert.
Landrat Wulfänger bekräftigte, dass der Landkreis konsequent an Lösungen für die Herausforderungen des demografischen Wandels arbeiten werde. Als erste Ergebnisse des Dialogs stellte er in Aussicht, eine Stelle zur Fördermittelberatung für Städte und Gemeinden im Landkreis einzurichten, ähnlich dem Beratungsangebot, das es bereits für Unternehmer gebe. Darüber hinaus plane er, eine Anlaufstelle für die Beratung von Rückkehrern und Rückkehrerinnen einzurichten.
Referatsleiterin Dahns vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat verwies in ihren Schlussworten darauf, dass sie die Initiative von Herrn Wulfänger unterstütze, eine Stelle für Fördermittelberatung kleinerer Städte und Gemeinden im Landkreis einzurichten. Sie werde prüfen, inwieweit entsprechende „Demografielotsen“ auch über Programme des Bundes mitfinanziert werden könnten. Die Reihe der Demografiedialoge solle auch im kommenden Jahr fortgeführt werden.
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