Mobilität in Deutschland: Sind Bus und Bahn eine Alternative zum Auto?
Nicht erst durch die Dieselfahrverbote rücken andere Verkehrsmittel als Alternative zum Auto in den Fokus. Die unkomplizierte Erreichbarkeit von Arzt, Schule und Supermarkt betrifft auch die gleichwertigen Lebensbedingungen in den Regionen. Gerade ländliche Regionen stehen vor der Herausforderung, wie sie die Mobilität vor Ort sichern können. Eine Zusammenschau von aktuellen Fakten und guten Projektbeispielen.
70 Millionen Menschen leben in einer Luftliniendistanz von 600 Metern zur nächsten Bushaltestelle oder 1,2 Kilometern zum nächsten Bahnhof mit mindestens 20 Fahrtmöglichkeiten. Was sich auf den ersten Blick gut anhört, bedeutet in der Praxis jedoch: 88 Prozent der Bevölkerung können den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) einmal pro Stunde und Richtung zwischen 7 und 17 Uhr nutzen. Der Ausflug am Sonntag ist damit nicht abgedeckt, denn die Taktung bezieht sich nur auf Werktage.
Schnelle und flexible Verfügbarkeit von Mobilität ist damit vielerorts nicht gewährleistet, wie die Studie „Verkehrsbild Deutschland – Angebotsqualitäten und Erreichbarkeiten“ des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung zeigt.
In 45 Minuten ins Zentrum mit den Öffentlichen: (Fast) Flächendeckend möglich
Die durchschnittliche Fahrtzeit ins nächstgelegene Zentrum ist ein wichtiges Kriterium für die Verbindungsqualität im öffentlichen Nahverkehr. Die Erreichbarkeit der Arbeitsstelle, von Bildungseinrichtungen oder medizinischer Versorgung kann davon abhängen. 95 Prozent der Bevölkerung können in 45 Minuten mit Bus und Bahn das nächstgelegene Zentrum erreichen.
Der öffentliche Verkehr in Stadt und Land ist jedoch nicht das Gleiche. In dünn besiedelten ländlichen Kreisen haben knapp 60 Prozent Zugang zu einem guten ÖPNV-Angebot. Doch 12 Prozent der Bevölkerung, vorwiegend in peripheren ländlichen Räumen, sehen in ihrer Region keine Alternative zum eigenen Auto.
Zum Vergleich: In kreisfreien Großstädten hat nahezu jeder Einwohner Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln. Schnell eine Straßen- oder U-Bahn erreichen, das können nur 16 Prozent der Bevölkerung in fußläufiger Entfernung von 600 Metern.
Anteile der Verkehrsmittel am Verkehrsaufkommen nach RaumtypQuelle: Mobilität in Deutschland (MiD) 2017
Auto gehört zum Standard in ländlichen Regionen
Die gute Erreichbarkeit des öffentlichen Verkehrs spiegelt sich auch in der Verkehrsmittelwahl wider: Im städtischen Raum werden bis zu einem Fünftel der Wege mit dem ÖPNV zurückgelegt, in ländlichen Regionen macht der Anteil am gesamten Verkehrsaufkommen nur 5 bis 7 Prozent aus. Eine hohe PKW-Orientierung ist hier die Regel. 90 Prozent der Haushalte verfügen außerhalb der Städte über mindestens ein Auto. Und die Automobilität wächst hier weiter.
Leichter Anstieg bei der Nutzung des ÖPNV
Immerhin 39 Kilometer werden pro Person in Deutschland täglich zurückgelegt. Betrachtet man die Entwicklung der Mobilität in Deutschland seit 2002, zeigt sich, dass der öffentliche Verkehr einen leichten Zuwachs erfahren hat.
Verkehrsmittelwahl (Anteil an allen Wegen) Quelle: BMVI
Bundesweit wird aktuell jeder zehnte Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt. 2002 war es noch jeder zwölfte Weg. Auch das Fahrrad ist ein Mobilitätsgewinner, der Anteil an allen Wegen ist seit 2002 von 8 auf 11 Prozent gestiegen. Knapp 60 Prozent der Wege in Deutschland entfallen auf das Auto, wie die BMVI-Studie „Mobilität in Deutschland 2017“ zeigt.
Studie „Mobilität in Deutschland (MiD) 2017“
Von Juni 2016 bis September 2017 wurden bundesweit etwa 155.000 Haushalte zu ihrer Mobilität befragt. Die Vorgängererhebungen fanden 2002 und 2008 statt. Die Daten der Studie des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) sind wichtige Planungsgrundlage für die Verkehrsplanung und die Ausgestaltung der Verkehrspolitik in Deutschland. > zur Studie
Doch wie wird sich dies in Zukunft gestalten? Für die jüngeren Generationen ist das Auto nicht mehr so wichtig als Statussymbol, während die Autovorliebe der älteren Generation ungebrochen ist.
Gute Praxis für bessere Mobilität
Die Sicherung der Mobilität ist ein wichtiger Bestandteil der Daseinsvorsorge, die Kommunen leisten müssen. Der nächste Arzt, Supermarkt oder die Freizeiteinrichtung muss auch ohne Auto erreichbar sein. Doch der konventionelle Linienverkehr gilt in vielen ländlichen Regionen nicht mehr als tragfähig. Aber es gibt sie bereits, die innovativen Mobilitätsformen in den Regionen Deutschlands.
Bürgerbusse mit vielfältigen Einsatzzwecken
Bei Kita-Mobil werden die Kinder in der Verbandsgemeinde Beetzendorf-Diesdorf in Sachsen-Anhalt von der Haustür aus direkt in die Kita gebracht, der Kombibus in der Uckermark transportiert neben Fahrgästen auch Waren.
Die ehrenamtlichen Fahrer des Bürgerbus Schüttorf-Ohne-Wettringen sind zwischen zwei Gemeinden in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen unterwegs, über das Logistiksystem werden auch Medikamente direkt an der Haltestelle oder im Dorfladen übergeben. Um die medizinische Versorgung älterer, immobiler Patienten kümmert sich auch das Zahnarztmobil Osterwieck in Sachsen-Anhalt.
Individualverkehr und öffentliche Fahrzeugkapazitäten mit einbeziehen
Die Verknüpfung von öffentlichem Nahverkehr und Privat-PKW – das ist das Konzept der NVV-Mobilfalt für die ländlichen Regionen Hessens. Im hessischen Vogelsberg wird E-Mobilität im Rahmen des „Dorf-Elektro-Carsharing“ praktisch erprobt. Dies soll die Tendenz zum Zweit- und Drittwagen in der Region verringern.
Beim Projekt „Mobilitätsressourcenmanagement Mitte Niedersachsen (MOREMA)“ sollen un- oder untergenutzte öffentliche und halb öffentliche Fahrzeugkapazitäten in 16 Kommunen für einen alternativen ÖPNV aktiviert werden. Hierzu zählen zum Beispiel Kleinbusse der Feuerwehr.
Überwindung des letzten Kilometers und Barrierefreiheit
Im Kreis Borken in Nordrhein-Westfalen setzt man auf „MObile VIElfalt“, um kleine Ortsteile besser an die Zentren anzubinden. „Mobisaar – Mobilität für alle“ arbeitet daran mobilitätseingeschränkten Menschen die Nutzung von Bus und Bahn auch in ländlichen Gegenden im Saarland zu sichern.
Im niedersächsischen Landkreis Schaumburg ist die Mobilität von Jugendlichen und Senioren auch außerhalb der regulären Fahrzeiten des öffentlichen Personenverkehrs mit dem Fifty-Fifty Taxi und Senioren-Taxi gewährleistet.
Was man vom Ausland lernen kann
Nicht nur in Deutschland gibt es gute Beispiele zu Mobilität, auch in Europa steht man vor der Herausforderung, wie die Mobilität in ländlichen Räumen sichergestellt werden kann.
Im dünn besiedelten Südosten Finnlands fährt der Mallu Bus als mobiles Gesundheitszentrum mit Breitbandanschluss entlang einer festen Strecke und hält jeden zweiten Tag in jeder der acht teilnehmenden Gemeinden.
In 40 Gemeinden im Norden Luxemburgs gibt es den Bummelbus als „Anrufbus“. Mithilfe eines Computersystems werden nicht nur Anmeldungen für Fahrten aufgenommen, sondern auch Routen berechnet, die die Fahrtwünsche möglichst vieler Menschen mit ein und derselben Fahrt abdecken.
Mobilität wichtiges Thema der Demografiestrategie
Staatssekretär Kerber weist im Interview mit dem Demografieportal der Mobilität eine Schlüsselrolle zu, wenn es um gleichwertige Lebensverhältnisse in den Regionen geht. Die Demografiepolitik der Bundesregierung wird in den nächsten Jahren die „gleichwertigen Lebensverhältnisse“ verstärkt bearbeiten. Sie sind auch ein wichtiges Ziel der Demografiestrategie der Bundesregierung.
Yvonne Halfar und das Redaktionsteam des Demografieportals
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