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Im Interview mit dem Demografieportal spricht Dr. Markus Kerber, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, über die Ansätze einer Politik für gleichwertige Lebensverhältnisse im demografischen Wandel. Die Demografiestrategie wirke bereits vor Ort durch die Gestaltungspartner, betont er. Sein Wunsch: Mit dem neuen Format der Demografiedialoge sollen die lokalen Akteure zu kreativen Lösungen motiviert werden.
Redaktion Demografieportal: Die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist einer der politischen Schwerpunkte des Bundesinnenministeriums?
Kerber: Ja, das stimmt. Ungleichheiten zwischen den Regionen unseres Landes soweit wie möglich zu verringern ist ein Gebot der Vernunft, aber auch der politischen Verantwortung. Nicht zuletzt ist es eine nachhaltige Investition in die Zukunft. Regionen, die vom demografischen Wandel besonders betroffen sind, müssen als Wohn- und Arbeitsort weiter attraktiv bleiben oder werden.
Redaktion: Ist Demografiepolitik gleichzusetzen mit einer Politik für die gleichwertigen Lebensverhältnisse?
Kerber: Teils, teils. Demografiepolitik ist ja noch viel mehr, da geht es klar um die Daseinsvorsorge, aber auch um Sicherung von Fachkräften, die Bildung, die Jugend, das selbstbestimmte Leben im Alter, Familien und so weiter. Die Demografiepolitik wird aber die „gleichwertigen Lebensverhältnisse“ in den nächsten Jahren verstärkt bearbeiten.
Redaktion: Waren gleichwertige Lebensverhältnisse nicht bereits Teil der Demografiestrategie der Bundesregierung?
Kerber: Doch, die Demografiestrategie wurde ja bereits 2012 verabschiedet und ein großer ressourcen- und ebenenübergreifender Dialogprozess gestartet. In den vergangenen Jahren wurden auf drei Demografiegipfeln und einem Strategiekongress neue Maßnahmen präsentiert und Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen zur Demografiestrategie diskutiert.
Damit hat die Bundesregierung vor allem in der letzten Legislaturperiode entscheidende Weichen gestellt, um auch zukünftig gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zu gewährleisten. Mit der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen wurde eine entscheidende Voraussetzung für die kommenden Jahre geschaffen.
Redaktion: Wie können in Deutschland gleichwertige Lebensverhältnisse erreicht werden?
Kerber: Eine gute Frage. Gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen betrifft Fragen wie: Wo fühle ich mich wohl? Wie sieht es mit einer erreichbaren Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen aus? Wie kann ich Lebensqualität in meiner Kommune mitgestalten? Kann ich im Alter in meinem gewohnten Umfeld leben? Komme ich dorthin, wo ich hin muss, bin ich also gut angebunden? Und schließlich – Gibt es auch genügend kulturelle Angebote?
Die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ soll Perspektiven für starke wie für strukturschwache und für besonders vom demografischen Wandel betroffene Regionen und Kommunen schaffen. Dies soll in die Demografiepolitik der Bundesregierung einfließen. Auch soll sie den Sorgen vieler Menschen begegnen, die sich von der guten Entwicklung Deutschlands abgehängt sehen. Nicht zuletzt geht es um die Stärkung des Zusammenhalts in unserem Land.
Redaktion: Wie ist die Kommission aufgebaut und wer arbeitet darin mit?
Kerber: Die Kommission ist ein ressortübergreifendes Projekt. Von Bundesinnenminister Horst Seehofer wird sie mit den Co-Vorsitzenden Julia Klöckner als Landwirtschaftsministerin und Familienministerin Dr. Franziska Giffey geleitet. So werden die vielen Facetten des Themas sorgfältig behandelt.
Sie hat sich am 26. September konstituiert und kümmert sich um die Lebensverhältnisse der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Hierzu hat sie sechs Arbeitsgruppen gebildet: Kommunale Altschulden, Wirtschaft und Innovation, Raumordnung und Statistik, Technische Infrastruktur, Soziale Daseinsvorsorge und Arbeit sowie Teilhabe und Zusammenhalt der Gesellschaft.
Redaktion: Wann wird die Kommission Ergebnisse vorlegen und warum ist sie im Bundesinnenministerium zu verorten?
Kerber: Ergebnisse sind im Juli 2019 zu erwarten. Es ist wichtig, dass die Menschen in Deutschland „gut leben, und zwar dort, wo sie leben wollen“. Die Kommission steht im Mittelpunkt einer „neuen Heimatpolitik“ und ist in gewisser Weise deren Herzstück. Die Herausforderungen der vergangenen Jahre haben die Bedeutung des gesellschaftlichen Zusammenhalts sehr deutlich aufgezeigt. Wir müssen Heimat gestalten. Das Bundesinnenministerium sieht sich hierbei in der Pflicht.
Die Kommission hat gerade den Auftrag, auf der Basis eines gemeinsamen Verständnisses gleichwertiger Lebensverhältnisse Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. Dabei wird sie den Blick auf unterschiedliche regionale Entwicklungen und den demografischen Wandel in Deutschland richten. Sie soll Vorschläge machen, wie die Situation in den Regionen Deutschlands – von Ost nach West, von Nord nach Süd – verbessert werden kann. Damit sollen effektive und sichtbare Schritte hin zu einer Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse erreicht werden.
Redaktion: Können Sie noch konkreter werden?
Kerber: Beispielsweise können Zuwanderung und Integration ebenso wie die Digitalisierung dabei helfen, Infrastrukturen zu erhalten, Stadt- und Dorfkerne wiederzubeleben und die regionale Arbeitskräftebasis zu stärken.
Redaktion: Was sollen die Vorschläge der Kommission bringen?
Kerber: Diese sollen dazu beitragen, den Wegzug aus vielen ländlichen Regionen und den Druck durch Zuzug in die Ballungsräume zu dämpfen. Eine echte Chance für jeden Einzelnen auf Wohlstand, Arbeit, Infrastruktur, Sport und Kultur sollte dabei Richtschnur sein, und zwar unabhängig davon, wo jemand wohnt.
Redaktion: Wie kann dies gelingen?
Kerber: Die ortsnahe Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen ist hier zu nennen. Wichtig ist auch, Mobilitätsangebote so zu gestalten, dass sie zu den individuellen Bedürfnissen passen. Beides muss so zusammengeführt werden, dass sich die Lebensqualität in diesen Regionen spürbar verbessert. Das stärkt dann auch die Wirtschaftskraft.
Redaktion: Sind gleichwertige Lebensverhältnisse nur eine Frage der Gerechtigkeit?
Kerber: Nein, letztlich geht es um die soziale und politische Stabilität des gesamten Landes. Es handelt sich um eine komplexe Querschnittsaufgabe, die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nur gemeinsam lösen können. Es geht um Gesundheit und Pflege, Infrastruktur, Bildung und Kultur, Breitband- und Mobilfunkausbau, Digitalisierung, Unternehmens- und Behördenansiedlungen, Mobilität und vieles anderes. Das Bundesinnenministerium arbeitet als Heimatministerium daran, dass diese Aufgaben enger als bisher zusammengedacht und zusammengeführt werden, denn nur dann werden wir dieser nationalen Aufgabe gerecht werden können.
Redaktion: Zu gleichwertigen Lebensverhältnissen gehört auch die Sicherung der Mobilität. Was tut die Bundesregierung da?
Kerber: Der Mobilität kommt eine Schlüsselrolle zu. Das leuchtet unmittelbar ein. Eine ländliche Region ist als Ort zum Leben und Arbeiten nur dann attraktiv, wenn ich dort mobil bin. Das heißt, auf zumutbare Weise das nächstgelegene Zentrum erreiche, wo die gewünschten Güter und Dienstleistungen vorhanden sind. Doch auch die Mobilitätsangebote unterliegen den Folgen des Strukturwandels.
Redaktion: Wie steht es um den ÖPNV im ländlichen Raum?
Kerber: Der ÖPNV konzentriert sich nach wie vor zu sehr an den starken Linien und ist oft von Schülerzahlen abhängig. Vielfach hängt die Mobilität der Menschen davon ab, wie diese sie selbst organisieren. Die Pkw-Nutzung ist in ländlichen Regionen unverändert hoch, das Auto das Verkehrsmittel der Wahl.
Redaktion: Gibt es auch andere Wege?
Kerber: Ja. Genau hier setzt das Modellvorhaben „Langfristige Sicherung von Versorgung und Mobilität in ländlichen Räumen“ an, bei dem in den vergangenen zwei Jahren 18 vom demografischen Wandel besonders betroffene Modellregionen auf Landkreisebene Lösungsansätze für eine bessere Versorgung von Daseinsvorsorge, Nahversorgung und Mobilität erarbeitet haben. Diese wurden auf der Abschlussveranstaltung am 11. September 2018 vorgestellt. Das Modellvorhaben ist Teil der Demografiestrategie und wurde bisher vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur gefördert. Es wird nun vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat weitergeführt.
Redaktion: Was erwartet das Bundesinnenministerium von den demnächst beginnenden Demografiedialogen?
Kerber: Seit mehreren Jahren wirkt die Demografiestrategie bereits vor Ort durch die Gestaltungspartner, die im Arbeitsgruppenprozess zur Demografiestrategie mitgewirkt haben und lokale Projekte umsetzen. Beispielhaft möchte ich an dieser Stelle nur die lokalen Allianzen für Demenz erwähnen. Wir möchten aber auch gute Projekte bekanntmachen und den Betroffenen die Möglichkeit zum Austausch geben. Dazu starten wir jetzt den ersten von insgesamt vier Demografiedialogen. Dieser wird Anfang Dezember im oberpfälzischen Cham stattfinden. Das Thema dort wird die Mobilität sein.
Redaktion: Was steht hinter dem neuen Format?
Kerber: Der Bund organisiert einen intensiven Erfahrungsaustausch der lokalen Akteure im Workshopformat. Die Dialoge bieten den Akteuren vor Ort eine Plattform, um ihre Erfahrungen und ihr Wissen unmittelbar auszutauschen. So können wir gezielt auf Probleme der Regionen eingehen und sie dabei unterstützen, bedarfsgerechte Lösungen für die Herausforderungen des demografischen Wandels zu finden – der Staat fungiert hier gewissermaßen als Lotse!
Redaktion: Der Bund wird also „Demografie-Lotse“?
Kerber: So kann man es sehen. Jede Gemeinde hat ihre eigene „demografische Biografie“ und muss die damit verbundenen Herausforderungen selbst bewältigen. Wir wollen die Gemeinden dabei unterstützen, sich fit für die Zukunft zu machen und lebenswerte Heimat für die Menschen zu sein.
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