Rüdiger Ewald: „Wir müssen die Vernetzung der Akteure untereinander verbessern. Noch immer wird das Rad neu erfunden.“
In Schleswig-Holstein ist der demografische Wandel spürbar, wenn auch weniger deutlich wie in anderen Bundesländern. Die Landesregierung setzt mit ihrer Demografiepolitik vor allem auf interkommunale Zusammenarbeit, erklärt uns Rüdiger Ewald vom Ministerium für Inneres, ländliche Räume und Integration im Interview.
Rüdiger Ewald
Redaktion Demografieportal: 2017 ist Schleswig-Holstein bereits zum fünften Mal in Folge Sieger im Glücksatlas. Wie gestaltet sich der demografische Wandel in der zufriedensten Region Deutschlands?
Rüdiger Ewald: Wir freuen uns natürlich sehr über die erneute Top-Bewertung. Sie bestätigt uns einmal mehr, dass Schleswig-Holstein ein wunderschönes Land zwischen den Meeren ist, in dem es sich einfach gut leben lässt. Auch der demografische Wandel beeinflusst diese Grundstimmung nicht. Dazu trägt sicher bei, dass die Veränderungen durch Schrumpfung und Wachstum bei uns nicht so stark ausfallen wie in anderen Regionen Deutschlands.
Redaktion: Was bedeutet das in Zahlen?
Ewald: Nun, die Einwohnerzahlen nehmen nach den jüngsten Berechnungen noch zu und liegen dann bis 2020 bei etwa 2,9 Millionen Einwohnern. Erst danach geht die Bevölkerung vor allem in den ländlichen Kreisen zurück. So werden 2030 zum Beispiel in den Kreisen Dithmarschen und Plön etwa 5,6 Prozent Menschen weniger leben als heute. Die kreisfreien Städte und die Kreise im Umland von Hamburg wachsen hingegen auch nach 2020 weiter. In der Landeshauptstadt Kiel werden 2030 voraussichtlich rund zehn Prozent Menschen mehr leben als heute.
Redaktion: Wie gestaltet sich die Alterung der Bevölkerung in Ihrem Bundesland?
Ewald: Die Altersstruktur in Schleswig-Holstein wird sich, wie überall in Deutschland, in den nächsten Jahren weiter verändern. Vor allem der Anteil der Älteren nimmt deutlich zu. 2030 werden rund 35 Prozent und damit mehr als ein Drittel aller Schleswig-Holsteiner 60 Jahre und älter sein. Parallel dazu geht der Anteil der Menschen von 20 bis unter 60 Jahren weiter zurück. 2030 wird er nur noch bei etwa 47 Prozent liegen; 1990 waren es noch 58 Prozent. Die Verschiebungen führen dazu, dass ein immer kleiner werdender Anteil von Menschen im Erwerbsalter einen stetig wachsenden Anteil von Älteren „mitversorgen“ muss.
Unter den Älteren steigt in den nächsten Jahren vor allem die Zahl der Hochbetagten, die 80 Jahre und älter sind. Die Zahl der Menschen ab 85 Jahren wird 2030 um fast 70 Prozent höher sein als Anfang 2015. Dieser Anstieg wird vor allem zu einer steigenden Nachfrage nach Leistungen und Einrichtungen für die Betreuung und Pflege älterer Menschen sowie nach altersgerechten Wohnungen führen.
Redaktion: Diese Entwicklungen verändern das Leben der Menschen vor Ort. Wo liegen die größten Herausforderungen?
Ewald: Die größte Herausforderung war und ist der Umgang mit der Erkenntnis, dass es Veränderungen vor Ort geben wird. Eine Auseinandersetzung mit dem Wandel wurde vor Jahren oft noch verdrängt, nach dem Motto „das wird schon irgendwie werden“. Das hat sich stark geändert und die Kommunen stellen sich dieser Aufgabe. Weil die Entwicklungen sehr unterschiedlich sind, müssen auch unterschiedliche Probleme gelöst werden. Mal ist es die ärztliche Versorgung in der Fläche, das Organisieren von Pflege und Betreuung alter Menschen, die Erreichbarkeit von Infrastruktur wie Schulen oder Einzelhandel. Mal muss der starke Einwohnerzuwachs in großen Städten organisiert werden. Das heißt in diesen Fällen; wie schaffe ich möglichst bezahlbaren Wohnraum, wie organisiere ich eine wachsende Stadt gemeinsam mit dem ländlichen Umland. Ich nenne als Stichwort die interkommunale Zusammenarbeit. Das sind einige der Aufgaben, denen wir uns hier stellen. Ich bin aber zuversichtlich, dass Schleswig-Holstein dies als Land, als Bevölkerung meistern wird.
Redaktion: Wie wird Demografiepolitik in Schleswig-Holstein gestaltet?
Ewald: Der demografische Wandel im Land kann nur von den Menschen im Land gestaltet werden. Die Landesregierung kann hierfür Rahmenbedingungen schaffen, motivieren und unterstützen. Dies ist den vergangenen Jahren recht gut gelungen, denn immer mehr Kreise, Ämter oder Dörfer haben sich den demografischen Herausforderungen gestellt und entwickeln Strategien und Lösungen zur Gestaltung der Zukunft.
Woran wir weiter arbeiten müssen, ist, die Vernetzung der Akteurinnen und Akteure untereinander zu verbessern. Noch immer wird das Rad neu erfunden, das Lernen von den Erfahrungen anderer ist immer noch verbesserungsfähig. Der Blick über den eigenen Tellerrand ist leider noch nicht selbstverständlich. Daran arbeiten wir – auch mit unserm Netzwerk Demografie Schleswig-Holstein.
Redaktion: Das Netzwerk Demografie in Schleswig-Holstein ist im Frühjahr gestartet. Was steckt dahinter?
Ewald: Der Idee des Netzwerkes Demografie ist die Erkenntnis vorausgegangen, dass die Akteure im Land zu wenig voneinander wissen. Wir wollen als Netzwerk für den häufig fehlenden Wissens- und Erkenntnistransfer sorgen. Wir wollen aufzeigen, in welchen Themenfeldern des demografischen Wandels es neue Entwicklungen oder erfolgversprechende Lösungsansätze gibt. Die Industrie- und Handelskammern in Schleswig-Holstein und die kommunalen Spitzenverbände haben deshalb mit der Landesregierung vereinbart, den Austausch von Ideen und Erfahrungen gemeinsam in einem Netzwerk zu fördern. Unter dem Motto „Voneinander lernen, voneinander profitieren“, wollen wir den Wandel gemeinsam gestalten. Im Netzwerk Demografie sollen die unterschiedlichen Erfahrungen und Kenntnisse der Partner gebündelt und gemeinsam über das Netzwerk abrufbar und vermittelt werden.
Diese Kooperation dient als Dienstleister, Ansprechstelle und Motor für die Gestaltung des demografischen Wandels im Land. Mit der Servicestelle Demografie im Ministerium für Inneres, ländliche Räume und Integration gehen wir diese Aufgabe an.
Redaktion: Die Kommunen in Schleswig-Holstein sind ja bereits sehr aktiv. Was ist bisher geschehen?
Ewald: Einige Kreise haben sehr früh erkannt, welche Herausforderung die Gestaltung des demografischen Wandels bedeutet. Sie haben gemeinsam mit Experten, der Politik vor Ort und einer intensiven Bürgerbeteiligung herausgearbeitet, was getan werden muss, um diese Aufgabe zu meistern. Also wie Verkehr organisiert werden muss, wie sich Schulen und Kindergärten entwickeln, wie sich die Zahl der älteren und hochbetagten Menschen entwickelt und welche Konsequenzen daraus gezogen werden müssen. Das Ergebnis dieses Prozesses sind die regionalen Anpassungsstrategien wie zum Beispiel in den Kreisen Nordfriesland, Dithmarschen, Schleswig-Flensburg oder auch im Amt Hüttener Berge. Sie enthalten Handlungsempfehlungen, die im Kreis, im Amt oder direkt im Dorf umgesetzt werden. Dies hat sich bewährt und war beispielhaft auch für andere Kommunen, die sich jetzt ebenfalls auf den Weg machen um eigene Anpassungsstrategien zu entwickeln.
Redaktion: Von der Strategie zur Praxis. Von welchen Projekten in den Kommunen Schleswig-Holsteins können andere Regionen in Deutschland lernen?
Ewald: Worauf wir durchaus etwas stolz sind ist unser Konzept der MarktTreffs. Fast 40 dieser dörflichen Nahversorgungseinrichtungen gibt es inzwischen im ganzen Land – und es werden noch mehr. Die MarktTreffs sind weit mehr als nur Einzelhandel. Sie bieten zum Teil gastronomische Angebote, Dienstleistungen wie Post oder Reinigung und sind kommunikative Treffpunkte für die Dorfbewohner.
Aber auch im Bereich der ärztlichen Versorgung gibt es ein innovatives Konzept, das sich bereits in der Praxis bewährt. So hat die Gemeinde Büsum die hausärztliche Versorgung sichergestellt, in dem sie ein Ärztehaus gründete, im dem Ärzte als kommunale Angestellte die Versorgung in dem Badeort an der Norden gewährleisten. Darüber ist sogar in österreichischen Medien berichtet worden.
Ein weiteres Beispiel ist das immer größer werdende Angebot an Bürgerbussen. Es beweist nicht nur viel ehrenamtliches Engagement vor Ort, sondern auch, dass Nahverkehr auf dem Land organisierbar ist.
Auch das 240-Einwohner-Dörfchen Sprakebüll hat sich auf den Weg gemacht. Es liegt in einer strukturschwachen Region in Nordfriesland und gewinnt an Attraktivität. Dies zeigen steigende Einwohnerzahlen. Hier ist man auf die Idee gekommen, die Einnahmen und die Energie aus den eigenen Bürgerwindparks für E-Mobilität und Investitionen zur Modernisierung des Ortes zu nutzen.
Auf unseren Halligen zeigt die Digitalisierung, wie heute Unterricht auch unter manchmal erschwerten Wohnbedingungen, etwa bei Land unter, möglich ist. Für Hallig-Schüler gibt es in einigen Bereichen Fernunterricht via Internet. Sie sitzen zu Hause im Online-Klassenzimmer, geschrieben, zugehört oder gesprochen wird mit der Lehrkraft über das Netz. Dies zeigt, wie kreativ Schleswig-Holsteiner den Wandel gestalten.
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Yvonne Halfar und das Redaktionsteam des Demografieportals
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