Norbert Barthle: Europaweit tut sich viel im ländlichen Raum!
Viele Folgen des demografischen Wandels sind zuerst auf regionaler Ebene zu spüren. Das Demografieportal präsentiert bereits über 180 Gute-Praxis-Beispiele aus deutschen Kommunen. Aber auch andere Länder haben kreative Antworten auf den demografischen Wandel gefunden. Daher ist zum Demografiegipfel am 16. März 2017 die Rubrik „Internationale Gute Praxis“ auf dem Demografieportal gestartet. Die 40 Beispiele zeigen, was im europäischen Ausland sowie in Japan und Kanada bei der regionalen Daseinsvorsorge bereits gut funktioniert.
Im Interview mit uns berichtet Norbert Barthle, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, über internationale Erfahrungen in der regionalen Daseinsvorsorge.
Redaktion Demografieportal: Alle Länder in Europa stehen vor ähnlichen demografischen Herausforderungen. Die Bevölkerung wird älter, manche Regionen sind stark von Abwanderung betroffen: Was kann Deutschland von anderen Ländern lernen?
Barthle: Der demografische Wandel ist in der Tat kein rein deutsches Phänomen. Ein regionaler Rückgang der Bevölkerung, nicht zuletzt wegen zu geringer Geburtenraten, Abwanderungen aus ländlichen Regionen und Zuzug in die Metropolen kann seit einigen Jahren in vielen Ländern Europas beobachtet werden. Diese Entwicklung wirkt sich auch auf die Angebote und Strukturen der Daseinsvorsorge aus, wie wir sie bisher kennen. Neue Lösungen sind daher gefragt, wenn wir unseren Bürgerinnen und Bürgern deutschlandweit weiterhin eine angemessene Versorgung und hohe Lebensqualität bieten wollen.
Der Blick über die Grenzen hinaus zeigt, dass etwa Skandinavien hierbei besonders erfolgreich ist. Als Erfolgsfaktor werden dort gewachsene informelle Institutionen gesehen, die langfristig die Umsetzung von Maßnahmen sicherstellen. So arbeiten in der schwedischen Region Västernörrland Behörden, Organisationen und Einwohner zusammen, um die Daseinsvorsorge aufrechtzuerhalten. Ein interessantes Projekt aus dieser Kooperation sind die Service Points zur Nahversorgung in der ländlich geprägten Gemeinde Örnsköldsvik. Die mittlerweile zehn Service Points versorgen Bewohner und Urlauber mit Lebensmitteln, bieten aber auch einen Lieferservice. Das politische Handeln ist im Norden Europas seit mehreren Jahrzehnten auf die Ziele Wachstum und regionale Gleichheit ausgerichtet.
Demografieportal: Wie steht es um das politische Handeln für regionale Gleichwertigkeit in Deutschland?
Barthle: Gleichwertige Lebensverhältnisse überall in Deutschland zu gewährleisten, ist auch ein wichtiges politisches Anliegen der Bundesregierung. Im Rahmen der Demografiestrategie der Bundesregierung haben wir aus diesem Grund auch eine eigene Arbeitsgruppe „Regionen im demografischen Wandel stärken – Lebensqualität in Stadt und Land fördern“ mit Vertretern von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden eingesetzt, die sich mit verschiedenen regionalen Auswirkungen des demografischen Wandels beschäftigt und neue Lösungsansätze sowie Handlungsempfehlungen zur Daseinsvorsorge erarbeitet.
In die Überlegungen der Arbeitsgruppe fließen nicht nur die vielen guten Beispiele ein, die bereits in Deutschland erprobt und praktiziert werden, sondern sie richtet ihren Blick auch über die Grenzen hinaus in andere europäische Länder. Gerade weil der demografische Wandel kein nationales Phänomen ist, ist ein internationaler Erfahrungsaustausch beim Suchen nach den besten Lösungen vor Ort aus meiner Sicht nicht nur wichtig, sondern geradezu unerlässlich. Dies gilt für den Bereich der Bildung, der Gesundheitsversorgung, der Nahversorgung wie auch der Mobilität gleichermaßen.
Demografieportal: Fördert Ihr Bundesministerium den internationalen Austausch im Bereich der Daseinsvorsorge?
Barthle: Als Bundesverkehrsministerium widmen wir uns bereits seit vielen Jahren den Herausforderungen des demografischen Wandels und entwickeln möglichst passgenaue Lösungen – übrigens gemeinsam mit den Akteuren vor Ort. Ein Beispiel: In einem kürzlich abgeschlossenen großen Modellvorhaben zur regionalen Daseinsvorsorge zusammen mit 21 deutschen Regionen wurde in eigenem Programmmodul auch ein Schwerpunkt auf internationale Erfahrungen zur Sicherung der Daseinsvorsorge gesetzt. Neben einer Analyse und Aufbereitung internationaler guter Praxis fanden auch Fachexkursionen mit Vertretern der Modellregionen nach Mittelschweden, Niederösterreich, Graubünden und Südtirol statt, um sich vor Ort über die verschiedenen Handlungsansätze auszutauschen. Viele innovative Beispiele aus diesen Ländern finden sich ja auch hier auf dem Demografieportal in der neuen Rubrik „Internationale Gute Praxis“.
Demografieportal: Was kann Deutschland bei der Daseinsvorsorge besser als andere Länder?
Barthle: Ein europaweiter Vergleich ist nicht einfach, die regionalen Rahmenbedingungen unterscheiden sich sehr. Aus den langjährigen Erfahrungen wissen wir daher, dass es keine einheitlichen, für alle Regionen gültigen Ansätze zur Sicherung der Daseinsvorsorge gibt, sozusagen eine „Blaupause“. Gleichwohl lässt sich feststellen, dass in Deutschland der Ansatz integrierten Denkens und sektorübergreifenden Handelns mit dauerhaften Lösungen schon vielerorts etablierte Praxis ist. Uns ist wichtig, dass die lokalen und regionalen Akteure Abschied vom Kirchturmdenken nehmen und stattdessen miteinander kooperieren. Deswegen gibt uns der internationale Austausch ja immer auch Anstoß, die eigenen Rahmenbedingungen nochmals kritisch zu überprüfen. Umso besser können wir dann interessante Ansätze aus anderen Regionen auf die Verhältnisse in der eigenen Region anpassen. Denn so, wie manches vielleicht in Deutschland besser funktioniert, gilt dies auch für andere europäische Länder.
Demografieportal: Wie können Kommunen sich international vernetzen?
Barthle: Mit den im Rahmen des Aktionsprogramms „Regionale Daseinsvorsorge“ durchgeführten Fachexkursionen zum Thema „Internationale Erfahrungen“ waren zahlreiche Begegnungen mit Teilnehmern aus anderen europäischen Ländern verbunden. Ich begrüße es deshalb, dass mit diesem Programm Schritte zu einem internationalen Fach- und Erfahrungsaustausch gegangen wurden, die eine Chance für die weitere Arbeit in den Regionen darstellt und von der auch weitere Regionen partizipieren können. Meines Wissens dauern viele der damals aufgenommenen Kontakte bis heute fort. Auch das ist ein Beispiel für den Austausch, den wir brauchen und der hilfreich ist.
Übrigens gibt es heute glücklicherweise viel mehr internationale Konferenzen zu Themen des demografischen Wandels als noch vor einigen Jahren.
Hinzu kommt: Nahezu jede deutsche Stadt, aber selbstverständlich auch die Gemeinden in den ländlichen Räumen haben seit vielen Jahren Partner im europäischen Ausland, so dass der Wissensaustausch zum Beispiel zu Fragen der regionalen Daseinsvorsorge auch auf diese Weise befördert werden kann.
Demografieportal: Kommen diese Fragen und Bedürfnisse der Kommunen auch in der europäischen Politik an?
Barthle: Ja, denn die kommunalen Spitzenverbände sind in Brüssel präsent, um die Interessen und den Austausch der Städte, Kreise und Gemeinden auf europäischer Ebene zu vertreten und die aktuellen europäischen Entwicklungen zu begleiten. In der Deutschen Sektion des Rates der Gemeinden und Regionen Europas sind – neben den kommunalen Spitzenverbänden – schließlich unter anderem auch Städte, Gemeinden, Kreise und Gemeindeverbände in Deutschland vertreten. Ganz oben auf der Agenda steht hier die Vernetzung, um mit Personen und Organisationen ein Informations- und Kommunikationsnetzwerk aufzubauen und zu pflegen.
Ich gehe davon aus, dass auch die neue Rubrik auf dem Demografieportal einen Impuls für weiteren internationalen Austausch geben wird.
Demografieportal: Sollten wir auch auf andere Länder außerhalb Europas blicken?
Barthle: Sicher werden wir unseren Blick in Zukunft auch noch stärker über die Grenzen von Europa hinaus richten müssen. Vor allem für Japan, aber auch für andere Staaten Asiens, ist der demografische Wandel ein großes Thema. Was Zusammenarbeit und Wissensaustausch betrifft, stehen wir noch ziemlich am Anfang. Für die Zukunft dürfte hier noch ein enormes Potenzial liegen.
Haben Sie noch Fragen zu internationalen Erfahrungen in der Daseinsvorsorge?
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Yvonne Eich und das Redaktionsteam des Demografieportals
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