Zusammenfassung des Praxisdialogs „Familienfreundliche Kommunen“
Welche Standortfaktoren unterstützen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Wie gelingt Fachkräftesicherung durch Familienfreundlichkeit? Und was macht väterfreundliche Kommunen aus? In unserem Praxisdialog „Familienfreundliche Kommunen“ wurde vom 17. Mai bis 30. Juni 2016 in 16 Beiträgen und Kommentaren über diese und weitere Fragen diskutiert.
In ganz Deutschland setzen sich rund 19.000 Akteure in Lokalen Bündnissen für Familie in etwa 8.000 Projekten für familienfreundliche Bedingungen vor Ort ein. Zum Auftakt des Dialogs stellten drei Koordinatoren von Lokalen Bündnissen für Familie aus Rheinland-Pfalz, Thüringen und Niedersachsen ihre neuen Projekte vor. Fragen konnten direkt mit den regionalen Familienexperten diskutiert werden.
Die langjährigen Koordinatoren aus Dienheim, Jena und Wolfsburg bringen vielfältige Erfahrungen aus der Praxis mit. Ihre für den Praxisdialog ausgewählten Projekte sind drei von zwölf Gewinnern des Ideenwettbewerbs „Vereinbarkeit für Eltern partnerschaftlich gestalten“ der Bundesinitiative „Lokale Bündnisse für Familie“. Im Frühjahr 2016 haben die Bündnisse mit der Projektarbeit begonnen.
Familienfreundlichkeit als Standortfaktor
Verschiedene Faktoren beeinflussen die Familienfreundlichkeit eines Standortes. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wurde dabei am häufigsten in den Beiträgen und Kommentaren thematisiert. Dabei benannten die Diskussionsteilnehmer auch Aspekte, die bei dem Thema erst einmal nicht auf der Hand liegen wie zum Beispiel zügig durchgeführte Straßenbaustellen und frühe Ladenöffnungszeiten.
Auch Ganztagsschulen, die Qualität der Schulen, Betreuungsangebote für Kinder durch Kommunen, Unternehmen oder Nachbarn, flexible Arbeitszeitmodelle, attraktive Angebote für Jugendliche, kulturelle Angebote, Begegnungsmöglichkeiten, ein durchdachter öffentlicher Nahverkehr oder die Förderung des ehrenamtlichen Engagements wurden im Dialog als wichtige Faktoren für die Vereinbarkeit genannt. Die Förderung von Familiengenerationswohnanlagen sollte darüber hinaus bei der Wohnungs- und Familienpolitik der Städte und Kommunen stärkere Berücksichtigung finden.
Diese Beispiele zeigen, dass Kommunen Standortvorteile durch ganz unterschiedliche Maßnahmen erreichen können und sie individuell auf die Bedürfnisse der Menschen vor Ort zugeschnitten werden müssen.
Hartmut Bräumer berichtete als Koordinator des Lokalen Bündnisses Dien"Heim für Familien" von seinem erfolgreichen Ansatz im rheinland-pfälzischen Dienheim, der insbesondere an Samstagen berufstätige Eltern entlastet. Eine institutionalisierte Betreuung bestehe nur an Wochentagen, doch viele Menschen in seiner Gemeinde arbeiten am Samstag und stehen somit vor einem Betreuungsproblem. Die samstägliche Betreuung in Sport-Camps gemeinsam mit Flüchtlingskindern hat sich bewährt und entlastet die Eltern, eine kostenintensive Einzelbetreuung ist dann nicht mehr notwendig.
„Damit macht Dienheim Vereinbarkeit zu einem Standortfaktor, der die Lebensbedingungen von Familien verbessert und den sozialen Zusammenhalt in der Gemeinde stärkt.“
(Hartmut Bräumer, Koordinator, Lokales Bündnis Dien "Heim für Familien")
Fachkräfte wollen gutes Umfeld für Familien
Um Standortvorteile durch Familienfreundlichkeit auszubauen, müssen alle in der Region gemeinsam aktiv werden, so Hans-Georg Engelke, Staatssekretär im Bundesinnenministerium des Innern. Dies komme nicht nur jungen Fachkräften und ihren Familien zugute, die motiviert werden, dauerhaft in der Region zu bleiben. Letztlich profitieren alle Bewohner von familienfreundlichen Quartieren der kurzen Wege, so die Meinung im Dialog.
„Gut ausgebildete Fachkräfte wollen heute nicht mehr nur ihre Qualifikationen einbringen, sie wollen auch ein gutes Umfeld für ihre Familien. Bei der Fachkräfterekrutierung wird dieser Standortfaktor immer wichtiger.“
(Hans-Georg Engelke, Staatssekretär im Bundesinnenministerium des Innern)
Es werden im Dialog aber auch Zweifel geäußert, ob ländliche Kommunen als Standort für junge Familien attraktiv sein können. Der Weg zur Krippe auf dem Land ist oft lang, dies macht die Betreuung wenig praktikabel. Eltern, die ihre Kinder selbst betreuen wollen, sollten darüber hinaus besser unterstützt werden.
„Leider gibt es Kommunen in den sogenannten ‚Speckgürteln‘ der größeren Städte, die selten daran interessiert sind jungen Familien mit niedrigen Einkommen in den Zuzug zu bekommen.“
(Wilfried Käufler)
Fachkräfte an die Region binden
Wie kann die Arbeits- und Lebensqualität für Fachkräfte und ihre Familien verbessert werden? Im Jenaer Bündnis für Familie arbeitet Koordinatorin Stefanie Frommann unter anderem an dieser Frage. In Jena gibt es viele Hochtechnologiefirmen, die als kleine und mittlere Unternehmen kaum Ressourcen haben, um familienfreundliche Maßnahmen einzuführen. Frommann berät diese Unternehmen zu Vereinbarkeitsthemen. Dabei werden Workshops sowie das jährliche Forum „Flexibel?!“ angeboten. Aktuell wird eine Internetplattform entwickelt, die alle wichtigen Informationen zu familienfreundlicher Unternehmenspolitik, Best-Practice-Beispiele sowie Möglichkeiten zum Austausch enthält.
„Damit trägt das Bündnis entscheidend dazu bei, Fachkräfte für Unternehmen zu gewinnen und an die Region zu binden.“
(Stefanie Fromman, Koordinatorin, Jenaer Bündnis für Familie)
Weiterhin wird über neuartige Konzepte wie gemeinsame Betreuungseinrichtungen für Kinder und pflegebedürftige Angehörige nachgedacht.
„Pflegepiloten“ für Vereinbarkeit von Pflege und Beruf in Sachsen-Anhalt
Christian Reinboth hat als Co-Organisator des Pflegenetzwerks Halberstadt die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf als zentrale Dimension moderner Familienfreundlichkeit im Blick. Berufstätige, die Angehörige pflegten, würden im Bundesdurchschnitt über 30 Stunden hierfür aufwenden. Das bedeutet eine extreme Doppelbelastung. In einem Forschungsprojekt der Hochschule Harz und der Stadtverwaltung von Wernigerode wurden zwei zentrale Handlungsansätze formuliert. Erstens sollte der Arbeitgeber mit der Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort individuell unterstützen. Zweitens sei eine pflegesensible Organisationskultur wichtig, damit die Beschäftigten offen ihre Doppelbelastung thematisieren könnten.
„Als praktische Lösung wird die Etablierung eines organisationsinternen ‚Pflegepiloten‘ empfohlen, der als Informationsquelle und Ansprechpartner das Vereinbarkeitsmanagement für Beschäftigte und Arbeitgeber übernimmt.“
(Christian Reinboth, Co-Organisator des Pflegenetzwerks Halberstadt)
Väterfreundliche Kommunen
Für Väter gibt es bislang wenige zielgruppenspezifische Angebote. Doch immer mehr Väter wollen mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen. Hier setzen Projekte aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen an.
In Wolfsburg stärkt ein interkulturelles Väterbüro den Austausch zwischen Vätern aller Nationen. Daran arbeitet Kathrin Mohrs, Koordinatorin des Bündnisses für Familie Wolfsburg. Seit 2014 besteht das Projekt. Neben Sprechstunden und Gesprächsgruppen werden außerdem Vater-Kind-Aktionen, sowie Beratungen und Weiterbildungen angeboten, alles vertraulich und kostenlos.
„Die Stadt ist bestrebt, das Interkulturelle Väterbüro weiterzuentwickeln, um Vätern auch zukünftig, unabhängig ihres Hintergrunds, in wichtigen Anliegen zur Seite zu stehen.“
(Kathrin Mohrs, Koordinatorin, Bündnis für Familie Wolfsburg)
Es gibt auch weniger formelle Ansätze. Eine Mischung aus Vorlesezeit und Erlebnis speziell für Väter und Großväter, dies hat sich seit drei Jahren in mehreren Stadtbüchereien in Nordrhein-Westfalen bewährt.
Alle Beiträge und Kommentare können weiterhin nachgelesen werden. Was ist Ihrer Meinung nach wichtig für familienfreundliche Kommunen? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Wir freuen uns auf Ihre Kommentare!
Yvonne Eich und das Redaktionsteam des Demografieportals