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Die Auswirkungen des demografischen Wandels auf dem Land betreffen auch Jugendliche. Keine Schule mehr in der Nähe, der Bus fährt nur einmal am Tag, die Freizeitangebote sind rar: Welche Möglichkeit hat die Jugend im ländlichen Raum mit dem demografischen Wandel umzugehen? Und was muss passieren, damit Jugendliche in der Region bleiben? Diese Fragen hat eine Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) untersucht.
Für die Untersuchung wurden drei strukturschwache westdeutsche Kreise und fünf ostdeutsche Kreise ausgewählt. Neben Birkenfeld in Rheinland-Pfalz, Wunsiedel in Bayern und dem Werra-Meißner-Kreis in Hessen sind auch der Kyffhäuserkreis in Thüringen, Mansfeld-Südharz in Sachsen-Anhalt, Prignitz in Brandenburg und Vorpommern-Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern Teil der Studie „Jugend im Blick – Regionale Bewältigung demografischer Entwicklungen“.
Die meisten der acht untersuchten Landkreise zeichnen sich durch einen negativen Bildungswanderungssaldo unter den 18- bis 24-Jährigen aus, das heißt viele junge Menschen verlassen für Studium, Ausbildung und Arbeit ihre Heimat. Gleichzeitig weisen die Landkreise einen geringen Anteil von 18- bis 24-Jährigen auf, er bewegt sich zwischen 6,7 und 8,7 Prozent. Neben der Analyse vorhandener Daten wurden in Workshops und Interviews alle beteiligten Akteure von Jugendpolitik in den untersuchten Kreisen eingebunden. Das Besondere an der Studie: Nicht nur Entscheidungsträger vor Ort, sondern auch die Jugendlichen selbst wurden befragt. „Es gibt nur wenige Studien, die die Perspektiven von Jugendlichen auf dem Land in den Fokus nehmen“, sagt Dr. Birgit Reißig, Leiterin des Forschungsschwerpunkts „Übergänge im Jugendalter“ am Deutschen Jugendinstitut und Mitautorin der Studie.
Durch ein gemeinsam mit den Jugendlichen erarbeitetes Indikatorensystem lassen sich die Teilhabechancen der Jugendliche in folgende Kategorien einteilen:
Die Ausprägungen dieser Kategorien bilden wichtige Aspekte der Lebenswirklichkeit von Jugendlichen in ländlichen Räumen ab und gelten in der Studie als regionale „Haltefaktoren“.
Die Forscher bezeichnen die Gruppe der 18- bis 24-Jährigen sogar als „Schlüsselgruppe für die demografische Entwicklung einer Region“. Umso gravierender wirken sich also die deutlich negativen Wanderungssalden in den untersuchten Landkreisen aus. Auch auf die Gründe für den Wegzug ist die Studie eingegangen und hat deren Einfluss auf die Entscheidung für den Wegzug untersucht. Hier zeigt sich, dass die Beschäftigungsperspektive, sowie die weiterführende Bildung und Ausbildung den mit Abstand stärksten Einfluss auf den Wegzug haben. Auch die Mobilität und digitale Erreichbarkeit sind relevant.
Laut der Studie sind viele Jugendliche relativ zufrieden mit ihrem Aufwachsen im ländlichen Raum. Vor allem bei den Themen Sicherheit und Kriminalität, Vertrautheit und Natur sehen viele der Befragten deutliche Vorteile gegenüber dem Leben in der Stadt. Gleichzeitig zeigen sich jedoch auch negative Aspekte des Landlebens, insbesondere die Reaktion der „ländlichen Gemeinschaft“ auf „Andersartigkeit“; auch von Diskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund wird berichtet.
Aussagen von Jugendlichen aus der DJI-Studie
Dennoch fühlen sich die Jugendliche in mehrerlei Hinsicht gegenüber den Jugendlichen aus der Stadt stark benachteiligt. Bildungs- und Berufsperspektiven, Freizeitangebot und Mobilität – gerade in diesen Kategorien sehen sich die Jugendliche auch von der Politik im Stich gelassen.
In den Gruppendiskussionen zeigen sie eine „durchweg nüchterne Sicht auf ihre politischen Teilhabemöglichkeiten“. Ein Grund hierfür sind kaum positive Erfahrungen im Prozess der politischen Partizipation. Angekündigte Umsetzungen blieben in vielen Fällen aus, das fördert Verdrossenheit bei den Jugendlichen. Hier empfiehlt die Studie andere Formen jugendlicher Mitbestimmung. „Mit endlosen Gemeindesitzungen, in denen die Schließung des Jugendtreffs gegen 22 Uhr verhandelt wird und der Jugendvertreter nicht mehr nach Hause kommt, weil kein Bus fährt, locken sie niemanden mehr hinter dem Ofen hervor“, sagt Projektleiter der Studie Frank Tillmann.
Bei der Wahrnehmung der jugendpolitischen Akteure zeigt sich im Bereich der Jugendhilfe ein gemischtes Bild. Einige Angebote werden zu wenig besucht, dadurch geraten die Anbieter in Legitimationszwang. Gleichzeitig fehlt es jedoch an nicht-gruppenbezogener Jugendarbeit und neuen Konzepten, die die Angebote für Jugendliche attraktiver machen.
Die Akteure sehen weiterhin einen Nachteil in der negativen Zuschreibung der ländlichen Orte, die als „zurückgeblieben“ oder „abgehängt“ betitelt werden. Es liegt nahe, dass sich diese Fremdwahrnehmung auf die Eigenwahrnehmung der Jugendlichen auswirken. Positiv hervorgehoben wurde in den Gesprächen die nach wie vor sehr aktive Vereinslandschaft. Demgegenüber steht ein Mangel an heterogeneren Sportangeboten sowie kulturellen Einrichtungen.
„Viele junge Menschen auf dem Land fühlen sich nicht ernst genommen, weil sich Freizeitangebote, Fahrpläne von Bussen und Zügen und die Möglichkeiten nach politischer Teilhabe an Älteren orientieren“, so der Projektleiter Frank Tillmann. Langfristig ließe sich die Lebensqualität deutlich verbessern, wenn Kommunen beispielsweise einen kostenlosen Breitband-Internet-Hotspot in Dorf und Schulbus zur Verfügung stellten, Fahrradwege ausbauten, Ganztagsschulen, Vereine und Kirchen ihre Räume für Jugendliche nach 17 Uhr öffneten und die interkulturelle Jugendarbeit gestärkt würde.
Zusammenfassend stellt die Studie auch praxisnahe Handlungsempfehlungen für die vier übergeordneten demografiestrategischen Ausrichtungen des Bundes vor: Gestaltung der Schrumpfung, Begrenzung der Abwanderung, Stabilisierung der Geburtenzahlen sowie Impulse für Zuwanderung.
Die Studie stellt zudem heraus, dass sich in den letzten Jahren auf Bundesebene ein stärkeres Bewusstsein für das Thema Jugend und demografischer Wandel entwickelt hat. Das zeigt sich insbesondere durch die 2014 eingesetzte Arbeitsgruppe „Jugend gestaltet Zukunft“. Sie hat die Aufgabe, die Belange der Jugend in die Demografiestrategie der Bundesregierung einzubringen.
Das Projekt „Ichmache>Politik“ des Bundesjugendrings ist hier ein zentrales Element. Erste Zwischenergebnisse einer Beteiligungsrunde zum Thema „Das muss sein! Demografiepolitik jugendgerecht gestalten“ von Jugendlichen zwischen 12 und 27 Jahren zeigen: Die Antworten decken sich nahezu mit den Ergebnissen des DJI. Daneben werden verstärkt der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, schnelles Internet sowie eine gute Gesundheitsversorgung gefordert.
Was meinen Sie dazu? Wie können Kommunen und andere jugendpolitische Akteure Jugendliche besser erreichen? Schreiben Sie uns Ihre Ideen und Anmerkungen doch einfach als Kommentar!
Peter Krauch und das Redaktionsteam des Demografieportals des Bundes und der Länder
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