Zusammenfassung des Online-Dialogs „Demografischer Wandel – Wohlstand für alle Generationen?“
Was bedeutet der demografische Wohlstand für den Wohlstand aller Generationen? Diese Frage stellte Bundesinnenminister de Maizière bereits auf dem Strategiekongress Demografie am 22. September 2015 in Berlin. Seine Antwort: Wohlstand sei für ihn mehr als Geld, auch Wohlbefinden gehöre dazu, folglich eine Mischung aus materiellen und immateriellen Aspekten. Um die Themen des Kongresses weiterdiskutieren zu können, hatte der Bundesinnenminister vom 22. September bis 15. November zum Online-Dialog auf dem Demografieportal eingeladen. In 57 Beiträgen und Kommentaren tauschten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Online-Dialogs ihre Meinungen aus und gaben Anregungen für die Demografiepolitik der Bundesregierung.
Im Dialog wurden Antworten auf folgende Fragen gesucht:
- Wie können wir den Zusammenhalt aller Generationen gestalten?
- Wie können hohe Beschäftigung und solide Finanzen zur Sicherung des Wohlstands beitragen?
- Wie kann Lebensqualität in Stadt und Land gefördert werden?
Zum Auftakt des Dialogs beantworteten auch Parlamentarische Staatssekretärinnen und Staatssekretäre diese Fragen und stellten wichtige Maßnahmen der Bundesregierung vor. In der sich anschließenden Diskussion wurden als Voraussetzung für künftigen Wohlstand mehrfach die Stärkung von Familien und die Herstellung finanzieller Gerechtigkeit zwischen Eltern und Kinderlosen gefordert. Ein weiteres zentrales Thema in der Diskussion war die Entwicklung der Lebensqualität im ländlichen Raum, auch mit Hilfe der Digitalisierung. Einigkeit bestand darüber, dass der Erhalt des Wohlstands für alle Generationen nicht nur eine Aufgabe der Politik sein kann. Diese könne aber die Rahmenbedingungen in vielen Bereichen verbessern.
In der weiterentwickelten Demografiestrategie der Bundesregierung vom September 2015 heißt es dazu:
„Der demografische Wandel wird das Zusammenleben und die Voraussetzungen für die Entwicklung von Wohlstand und Lebensqualität in den nächsten Jahrzehnten deutlich verändern. Die Demografiepolitik der Bundesregierung hat daher das Ziel, Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Wohlstand für die Menschen aller Generationen in unserem Land erhöhen und die Lebensqualität weiter verbessern.“
Wie können wir den Zusammenhalt aller Generationen gestalten?
Diese Frage wurde am häufigsten diskutiert. Grundsätzlich sei es um den Zusammenhalt der Generationen in Deutschland gut bestellt. Wissenschaftler sind sich weitestgehend einig, dass das Verhältnis der Generationen heute deutlich weniger konfliktbehaftet ist und die Beziehungen untereinander intensiver sind als früher. Die Debatte machte aber deutlich, dass in vielen Bereichen wie der Familien-, Senioren-, Renten-, Sozial- und Kommunalpolitik Handlungsbedarf besteht, um den Zusammenhalt der Generationen zu bewahren. Zusammenhalt müsse darüber hinaus im praktischen Alltag durch Vorbilder erlebbar gemacht werden, so eine Forderung im Dialog. Im öffentlichen Bereich habe der kürzlich verstorbene Helmut Schmidt beispielsweise den Jungen die Hochachtung vor dem Alter näher gebracht.
Generationen zusammenbringen
„Der demographische Wandel und auch die Veränderungsprozesse der Familienstrukturen erfordern neue Wege im Miteinander der Generationen – wenn die wechselseitige Verantwortung füreinander als zentraler Wert erhalten bleiben soll.“
(Susanne Tatje, Leiterin des Amtes für Demografie und Statistik der Stadt Bielefeld)
Ein Ansatz, der diskutiert wurde, ist die zukünftige Gestaltung von Wohnformen. Städte könnten dafür sorgen, Fördermittel nur für barrierefreie Bauvorhaben bereitzustellen. Die staatliche Finanzierung von zinslosen Darlehen aus einem revolvierenden Fonds heraus für sogenannte Familiengenerationswohnanlagen ist ein weiterer Vorschlag.
Auch über Generationenprojekte von Bürgern für Bürger kann Verständnis und Toleranz zwischen Jung und Alt geschaffen werden. Als wertvoll werden zum einen Begegnungen zwischen Demenzkranken und Bewohnern von Pflegeeinrichtungen mit Jugendlichen oder Grundschülern erachtet. Zum anderen könnten Jugendliche Ältere mit neuen Technologien vertraut machen und Ältere Kindern und Jugendliche durch Bildungsangebote oder Patenschaften unterstützen. Es wird auch darauf hingewiesen, dass bis zum Ende der Legislaturperiode in der Arbeitsgruppe „Selbstbestimmtes Leben im Alter“ der Demografiestrategie Praxishilfen für Kommunen zum Thema „Vernetzung und Begegnungen im Quartier“ entwickelt werden.
Ehrenamt von Älteren
Die Bereitschaft älterer Menschen, sich zu engagieren, wächst stark. Aufgabe der Politik sei es, stabile Rahmenbedingungen für das Engagement zu schaffen und die Anerkennungskultur zu stärken. Dabei wurde seitens der Politik herausgestellt, dass Engagement die Daseinsvorsorge sinnvoll ergänzen, aber nicht ersetzen könne. Einige Diskussionsteilnehmer sehen dieses Thema kritisch.
„Viele werden sich zukünftig im Alter kein ehrenamtliches Engagement mehr leisten können, sondern benötigen einen Zuverdienst, um ein finanzielles Auskommen zu haben.“
(Wolfgang Jung)
Aufgrund sinkender Alterseinkünfte wird den Älteren in Zukunft zudem kaum Zeit bleiben, ein Ehrenamt auszuüben, so die Befürchtung. Der Seniorenbeirat des Landkreises Mainz-Bingen hat daher einen Antrag für eine Vermittlungsstelle für Zuverdienste für Rentnerinnen und Rentner im gemeinnützigen Bereich gestellt. Eine weitere Stimme im Dialog bezieht sich auf hauswirtschaftliche Dienstleistungen von qualifizierten Personen. Es wird gefordert, dass diese besser sozial abgesichert werden, denn sie sind oft nur auf dem Schwarzmarkt, in schlechter Qualität oder unterbezahlt erhältlich.
Die Jugend beteiligen
Die Einbindung von Jugendlichen in die Gestaltung der Demografiepolitik der Bundesregierung wird mit der Arbeitsgruppe „Jugend gestaltet Zukunft“ der Demografiestrategie bereits verwirklicht.
„Das Besondere ist: In der Arbeitsgruppe arbeiten nicht nur erwachsene Expertinnen und Experten an dem Thema, was alles noch getan werden kann, damit Jugendliche auch in Zukunft gut aufwachsen können. Jugendliche in ganz Deutschland können mitreden.“
(Caren Marks, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend)
In Demografiewerkstätten in vier Landkreisen können Jugendliche ihre Anliegen direkt mit den Mitgliedern der Arbeitsgruppe diskutieren. Es gehe dabei um Themen, die besonders für Jugendliche relevant sind wie Schule, Ausbildung, Integration, Mobilität oder Internet. Darüber hinaus bietet das Beteiligungsprojekt „Ichmache>Politik | Demografie“ des Deutschen Bundesjugendrings bundesweit Möglichkeiten für Jugendliche, sich einzubringen.
Familien stärken
In der Diskussion wird unter anderem eine Abkopplung von Familien an der Wohlstandsentwicklung kritisiert. Ohne effiziente Familienförderung und den Abbau von Ungerechtigkeiten bei den Sozialversicherungsbeiträgen für Familien werde sich Wohlstand in Zukunft nicht fortsetzen können, so die Meinung einiger Diskussionsteilnehmer.
„Noch immer steigert die Herstellung eines Autos den Wohlstand, nicht aber die Erziehung und Bildung eines Kindes.“
(Siegfried Stresing, Bundesgeschäftsführer, Deutscher Familienverband e. V.)
Am Beispiel der Benachteiligung kinderreicher Familien wird gefordert, dass steuer- und sozialabgabenbezogene Schieflagen zu korrigieren sind. Dies wurde bereits seit 2001 vom Bundesverfassungsgericht angemahnt. Gesetzliche Änderungen in diesem Bereich würden die Glaubwürdigkeit des politischen Handelns auf diesem Feld erhöhen. Weitere Empfehlungen an die Politik sind Familiengründungskredite, Steuerfreiheit ab dem dritten Kind oder die Abkehr von wirtschaftlichen Interessen in der Familienpolitik. Hierbei wird unter anderem auf die öffentliche Kinderbetreuung angespielt, die nach der Auffassung einiger Diskussionsteilnehmer eher der Wirtschaft als der Entwicklung des Kindes dient.
„Es kommt darauf an, das Elternsein und das Kümmern um seine eigenen Kinder wieder als einen entscheidenden Wert in unserer Gesellschaft zu etablieren, der der ganzen Gesellschaft nutzt und dementsprechend auch von der Gesellschaft gefördert und honoriert wird.“
(Marion Thees)
Wie können hohe Beschäftigung und solide Finanzen zur Sicherung des Wohlstands beitragen?
In der Diskussion wurde neben der Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Personen auch die qualifizierte Zuwanderung als wichtiger Beitrag zur Fachkräftesicherung und somit zur zukünftigen Sicherung des Wohlstands diskutiert.
Gesunde Arbeit ermöglichen
Eine besondere Rolle für die Bundesregierung spiele der Erhalt der Gesundheit der Arbeitnehmer. Maßnahmen wie die Stärkung der betrieblichen Gesundheitsförderung in kleinen und mittleren Unternehmen wurden bereits vorangebracht. In der Diskussion wurde auch die Verbindung zwischen Gesundheit und möglichst langer Beschäftigungszeit aufgezeigt. Für gesunde Arbeitnehmer sollten Anreize für ein längeres Arbeitsleben geschaffen werden, beispielsweise durch attraktive Teilzeitmodelle für über 60-Jährige.
„Eine Verknüpfung der Unternehmensinteressen mit gesunder Arbeit wird langfristig vielleicht nicht die einzige Chance sein, den drohenden Fachkräftemangel und die zu erwartende Altersarmut zu bewältigen, aber mit Sicherheit die größte Chance, um soziale Unruhen in den Betrieben und ‚auf der Straße‘ zu vermeiden. Gesundheit sichern heißt Wohlstand sichern!“
(Jörg Hallberg)
Willkommenskultur schaffen
Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist Deutschland auf qualifizierte Zuwanderung angewiesen. Deutschland müsse langfristig als attraktives Einwanderungsland für Fachkräfte, Auszubildende und Studierende gelten. Als Voraussetzung hierfür wird die Verankerung einer gelebten Willkommens- und Anerkennungskultur in Unternehmen, Verwaltung und Gesellschaft gesehen. Der Beitrag der Zuwanderer für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und der Sicherung des Wohlstands müsse immer wieder deutlich gemacht werden. Auch die Integration von Flüchtlingen könnte zur Abmilderung des Fachkräftemangels beitragen.
„Außerdem brauchen wir für eine geregelte und qualifizierte Zuwanderung ein Einwanderungsgesetz, das die Zugangskriterien klar und auch für jedermann im Ausland verständlich definiert.“
(Iris Gleicke, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie)
Solide Finanzen
Durch den überproportionalen Anstieg der altersabhängigen öffentlichen Ausgaben entstehe Druck auf die öffentlichen Haushalte einschließlich der Sozialversicherungszweige. Im Dialog werden mehrere Faktoren aufgeführt, die für die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen relevant sind. Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte mit der Umsetzung der Schuldenbremse wird als ein Weg gesehen. Für die Stabilisierung der Sozialsysteme seien auch arbeitsmarktbezogene Maßnahmen wie ein weiterer Abbau der strukturellen Arbeitslosigkeit oder verstärkte qualifizierte Zuwanderung wichtig. In der Diskussion wird zudem ein Umbau der deutschen Sozialsysteme gefordert.
„In Anbetracht der demografischen Entwicklung (weniger Erwerbstätige, höhere Zahlen an älteren Menschen, die nicht mehr erwerbstätig sein dürfen) ist m.E. ein Umbau unserer Sozialsysteme erforderlich.“
(Ute Schütt)
Wie kann Lebensqualität in Stadt und Land gefördert werden?
Die Diskussion drehte sich vor allem um die Schaffung und den Erhalt von Lebensqualität in ländlichen Räumen. Lebensqualität gehe weit über ausreichende Daseinsvorsorge und bedarfsgerechte Infrastrukturen hinaus, auch das Image ländlicher Räume und die Bedürfnisse jüngerer Menschen seien wichtig. In der Digitalisierung wird von den Diskussionsteilnehmern großes Potenzial für die Entwicklung des ländlichen Raums gesehen. Für die Umsetzung von regionsspezifischen Lösungsansätzen werden Partnerschaften von Stadt und Land als guter Weg gesehen.
Mehr Lebensqualität durch Digitalisierung
Die Digitalisierung wurde als Entwicklung diskutiert, die in vielen Bereichen Chancen eröffnet. Nicht nur die Versorgung mit Breitband sei wichtig.
„Die technologische Entwicklung, und hier in besonderer Weise die Digitalisierung unserer Arbeits- und Lebensräume birgt erstmals nach der industriellen Revolution, und der damit einhergehenden örtlichen Zentralisierung von Arbeit, die Möglichkeit einer Rückverlagerung von Arbeit in die Region.“
(Dr. Mario Seger, Projektmanager, TU Darmstadt)
Für die Lebensqualität im Alter können digitale Anwendungen weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Die Bilder, die wir vom Älterwerden im Kopf haben, seien überholt. Das Interesse Älterer an digitalen Diensten nimmt zu, woraus sich Chancen für die soziale Vernetzung im Alter ergeben. Oft fehle es an Anregungen für ältere Menschen, digitale Möglichkeiten im Netz zu entdecken. Es gelte, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Smartphones und Tablets Lebenshelfer sein können im Sinne von „Tablet statt Tablette“.
Zukunft ländlicher Raum
Für den ländlichen Raum wird ein Konzept gefordert, welches über den Breitbandausbau hinausgeht und die Diskussion um die Chancen des demografischen Wandels stärkt. Es werden handlungsorientierte Potenzialanalysen der ländlichen Regionen vorgeschlagen, die auf der Grundlage der individuellen Stärken von Kommunen und im Hinblick auf die Chancen durch Digitalisierung Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen. Für diese Aufgabe müssten Bund, Länder und Kommunen Mut haben.
Die Bundesregierung sucht im Rahmen der Arbeitsgruppe „Regionen im demografischen Wandel stärken – Lebensqualität in Stadt und Land fördern“ der Demografiestrategie bereits gemeinsam mit Ländern und Kommunen Lösungsansätze für den ländlichen Raum. Auch über das 2015 gestartete Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“ werden Kreise und Gemeinden unterstützt.
„Die mobilen Einkaufsmöglichkeiten in Dörfern (Bäcker, Fleischer etc.) sind für die älteren Menschen, die nicht mehr mobil sind, ideal. Man sollte aber nicht die Generation vergessen, die sich als Nächste entscheiden soll, in die ländlichen Region zu ziehen: Wir wollen nicht alle zum Einkaufswagen auf den Dorfplatz.“
(Claudia H.)
Die Sicherung der Mobilität wird von den Diskussionsteilnehmern als weiteres Zukunftsthema für den ländlichen Raum gesehen. Dabei muss die Infrastruktur gar nicht „um die Ecke liegen“, eine fußläufige Anbindung an Bus und Bahn reiche oft aus. Auch eine Fahrtzeit von 15 bis 20 Minuten in den nächsten Ort mit Einkaufsmöglichkeiten sei für jüngere, mobile Menschen in Ordnung. Daher wird die Stärkung von Städten in ländlichen Regionen vorgeschlagen. Die Bedürfnisse von jungen Menschen und Rückkehrern werden oft in der Diskussion um die Entwicklung des ländlichen Raums ausgeblendet, so eine Meinung im Dialog.
„Viele der jungen Leute würden sicher gern zurückkehren, doch ihnen müssen auch weitere Anreize geschaffen werden als „nur“ Zurückkehren und alles ist wie vorher.“
(Kati Hollstein, Kommunikationsdesignerin)
Demografieorientierte Kommunalpolitik
Um den Zusammenhalt in Kommunen zu bewahren, müsse diese generationengerecht gestaltet werden – mittels einer demografieorientierten Kommunalpolitik, die neben weitsichtigen Politikern auch engagierte Bürger braucht.
„Es ist wichtig die Problemlage allgemeinverständlich, griffig und glaubhaft aufzubereiten, dann entsteht die Chance der nachhaltigen Mitwirkung aller Bevölkerungsteile.“
(Bernhard Bühler)
Aus Sicht einer Gemeindeverwaltung wird geschildert, dass mit der Vorstellung eines Demografieberichts nicht nur der Gemeinderat sensibilisiert werden konnte, sondern auch interessierte Bürger. Für die Umsetzung von demografiepolitischen Maßnahmen sind nicht nur gute Ideen wichtig, sondern auch finanzielle Mittel. Dies gelte insbesondere für Regionen, die von Abwanderung und Strukturwandel betroffen sind.
Beispielsweise haben Kommunen und Kreise im nördlichen Bayern ohne genehmigten Haushalt wenig finanzielle Spielräume, dem demografischen Wandel zu begegnen. Drängendste Maßnahme müsste es daher sein, diese wieder in einen Zustand der Handlungsfähigkeit zu versetzen.
Die vollständige Diskussion kann weiterhin im Archiv nachgelesen werden.
Was ist Ihrer Meinung nach wichtig für die Sicherung des Wohlstands im demografischen Wandel? Wir freuen uns auf Ihre Kommentare!
Yvonne Eich und das Redaktionsteam des Demografieportals