Dr. Christiane Liesenfeld: „In Rheinland-Pfalz gestalten wir den demografischen Wandel auch mit Hilfe der Digitalisierung“
Nach dem großen Erfolg im Jahr 2013 fand vom 2. bis 9. November 2015 in Rheinland-Pfalz die zweite landesweite Demografiewoche statt. Aus diesem Anlass haben wir mit Dr. Christiane Liesenfeld aus dem einzigen Demografieministerium Deutschlands gesprochen. Als Referatsleiterin für Grundsatzfragen des demografischen Wandels koordiniert sie seit Mai 2011 die demografiepolitischen Aktivitäten der Landesregierung. Digitaler und demografischer Wandel gehen in Rheinland-Pfalz zusammen, erklärt sie uns im Interview.
Dr. Christiane LiesenfeldQuelle: MSAGD RLP
Redaktion Demografieportal: Bei der Auftaktveranstaltung zur zweiten landesweiten Demografiewoche betonte die rheinland-pfälzische Demografieministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler, dass ihr angesichts der derzeit hohen Zuwanderung oft die Frage gestellt wird, warum sie denn keine Pause beim Thema „Demografischer Wandel“ mache. Ihre Antwort war: Weil wir es uns nicht leisten können. Vor welchen Herausforderungen steht Rheinland-Pfalz?
Christiane Liesenfeld: Wir können uns tatsächlich keine Pause leisten. Weil wir aktuell so hohe Zuwanderungen haben, kann man sicherlich den Eindruck gewinnen, dass der demografische Wandel kein Problem mehr sei, dass wir schlicht nicht weniger werden und unsere Gesellschaft auch nicht altert. 2014 ist die Bevölkerungszahl von Rheinland-Pfalz im dritten Jahr in Folge gewachsen, und 2015 wird das auch so sein. Das bedeutet aber keine grundsätzliche Trendwende im demografischen Wandel. Nach der aktuellen Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Landesamtes wird die Bevölkerungszahl in den kommenden Jahrzehnten sinken, wenn auch weniger stark als wir das bisher angenommen hatten, und zwar bis 2035 um 3,8 Prozent gegenüber 2013.
Die Zahl der Menschen über 65 Jahre wird in diesem Zeitraum von 20,6 auf ungefähr 30,6 Prozent der Bevölkerung steigen. Wir werden also weiterhin weniger und älter – auch bei einer hohen Zuwanderung. Der dritte Aspekt des demografischen Wandels, dass wir als Bevölkerung vielfältiger werden, ist sogar noch wichtiger als früher. Denn wir wollen die vielen Menschen, die zu uns kommen, gut in unser gesellschaftliches Leben und insbesondere in den Arbeitsmarkt integrieren.
Redaktion: Die aktuelle Bevölkerungsentwicklung sieht doch auf den ersten Blick nicht sehr beunruhigend aus, oder?
Liesenfeld: Das stimmt. Was aber auch bei einer hohen Zuwanderung aller Voraussicht nach bestehen bleibt, sind die großen regionalen Unterschiede. Es gibt Städte und Regionen in Rheinland-Pfalz - wie zum Beispiel die Städte Mainz und Trier und die umliegenden Landkreise – die noch weiter wachsen. Aber es gibt auch Regionen, die weiter deutlich schrumpfen werden, wie beispielsweise die Westpfalz und der Landkreis Birkenfeld. Das bringt ganz unterschiedliche Herausforderungen mit sich. In wachsenden Städten wie Mainz finden die Menschen zum Beispiel kaum noch bezahlbaren Wohnraum und in schrumpfenden ländlichen Regionen haben wir Leerstände. Auch Zuwanderer ziehen erfahrungsgemäß nach ihrer Anerkennung tendenziell in die Städte. Die Zuwanderung könnte die regionalen Unterschiede in der Bevölkerungsentwicklung also noch verstärken, wenn es uns nicht gelingt, sie in den ländlichen Dörfern und Gemeinden zu halten.
Redaktion: Rheinland-Pfalz hat als einziges Bundesland ein Demografieministerium. Wie kam es dazu?
Liesenfeld: Die Einrichtung des Ministeriums im Jahr 2011 war Bestandteil des Koalitionsvertrags der rot-grünen Landesregierung, weil die Politik aufgrund der langen Erfahrungen die unterschiedlichen Maßnahmen der Ressorts an einer Stelle bündeln wollte. Wir haben schon 2004 erste Handlungsprogramme vorgelegt. Mit dem Demografieministerium hat die Landesregierung noch einmal unterstrichen, wie wichtig das Thema für sie ist, und neue Impulse gesetzt. Nach meinem Empfinden hat das sehr gut funktioniert. Die Aufmerksamkeit für den demografischen Wandel und seine Folgen ist seitdem spürbar gestiegen. Und es sind viele neue Programme und Initiativen gestartet worden; nicht nur von der Landesregierung.
Redaktion Demografieportal: Welche Themen bearbeiten Sie im Demografieministerium?
Liesenfeld: In erster Linie ist es unsere Aufgabe, die Demografiestrategie der Landesregierung „Zusammenland Rheinland-Pfalz – Gut für Generationen“, die wir 2011/2012 erarbeitet und vorgestellt haben, zu koordinieren und gemeinsam mit allen anderen Ministerien laufend weiterzuentwickeln. Als Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie sind wir zudem für viele relevante politische Bereiche zuständig wie zum Beispiel für die Themen Arbeit und Fachkräftesicherung, Gesundheit und Pflege, Wohnen oder Gut leben im Alter.
Redaktion: Was wollen Sie mit Ihrer Demografiestrategie erreichen?
Liesenfeld: Unser übergeordnetes Ziel ist, dass alle Generationen auch in Zukunft in allen Teilen des Landes gut leben können. Dazu möchten wir auch versuchen, den demografischen Wandel noch zu beeinflussen. Deswegen wollen wir über eine gute Familienpolitik, aber auch Kinder- und Jugendpolitik, dafür sorgen, dass die Menschen in Rheinland-Pfalz wieder mehr Kinder bekommen. Und wir möchten über eine gesteuerte Zuwanderung und eine gute Integrationspolitik Menschen dafür gewinnen, in Rheinland-Pfalz zu leben – auch in den ländlichen Regionen. Das wird aber den Wandel aller Voraussicht nach nicht stoppen. Ein besonders wichtiger Teil unserer Demografiestrategie ist deshalb, ihn aktiv zu gestalten. Das können wir als Landesregierung aber nicht alleine. Deshalb wollen wir möglichst viele Verantwortliche in den unterschiedlichsten Institutionen und Organisationen für den Wandel und seine Folgen sensibilisieren. Das ist genau das was wir beispielsweise mit den Demografiewochen gemacht haben.
Redaktion: Wen braucht es dafür?
Liesenfeld: Wir brauchen in der Demografiepolitik an erster Stelle die Kommunen, aber auch die Wohlfahrtsverbände, die Unternehmen, die Vereine, die Wissenschaft und viele mehr. Jeder muss in seinem Verantwortungsbereich schauen, wie er mit dem Thema gut umgeht. Deswegen sind Veranstaltungen wie die Demografiewoche auch so wichtig. Wir möchten zeigen, dass man den Wandel gestalten muss und kann. Es gibt ja auch schon viele gute Beispiele in unserem Land.
Redaktion: Welche Erfahrungen haben Sie mit der zweiten Demografiewoche gemacht?
Liesenfeld: Besonders beeindruckend fand ich natürlich, dass sich wieder etwa 200 Veranstalter mit mehr als 300 sehr unterschiedlichen Veranstaltungen beteiligt haben. Ich habe den Eindruck, dass demografiepolitisches Handeln mehr und mehr zum Alltagshandeln wird. Bemerkenswert ist zum Beispiel, dass die katholische Hochschule in Mainz einen Tag lang ihre Lehrveranstaltungen auf den demografischen Wandel ausgerichtet hat. Meiner Meinung nach ist es ein vorbildlicher Weg, wenn Studierende sich damit beschäftigen, was das weniger, älter und vielfältiger Werden unserer Gesellschaft mit ihrer späteren Arbeit zu tun hat.
Redaktion: Was tut Rheinland-Pfalz für Kinder und Jugendliche, also für die jüngere Generation?
Liesenfeld: Rheinland-Pfalz ist ein kinder-, jugend- und familienfreundliches Land und das soll es auch bei einer älter werdenden Bevölkerung bleiben. Dazu haben wir Programme wie „Kinderfreundliches Rheinland-Pfalz“, „Kita!plus“ oder auch die Jugendstrategie „Jung.Eigenständig.Stark“. Mit der gebührenfreien Bildung von der Kita bis zum Erststudium wollen wir außerdem gerechte gute Zugänge zu den Bildungsangeboten schaffen. Insgesamt ist uns wichtig: Auch wenn der Anteil der Jungen an der Gesellschaft zurückgeht, nehmen wir ihre Bedürfnisse ernst. Demografiepolitik ist nicht nur Seniorenpolitik. Ganz aktuell hat sich deshalb auch das Demografiekabinett in seiner Sitzung im September 2015 mit einer eigenständigen Jugendpolitik vor dem Hintergrund des demografischen Wandels beschäftigt. Da geht es darum, Jugendliche in ihrer Selbstbestimmung und Teilhabe zu stärken.
Redaktion: Die Älteren geraten aber auch nicht in Vergessenheit, oder?
Liesenfeld: Nein, natürlich nicht. Der 7. Seniorenkongress war ein wichtiger Teil unserer Demografiewoche. Auch sonst ist Seniorenpolitik ein Schwerpunkt unserer Demografiestrategie, insbesondere der Aktionsplan „Gut leben im Alter“ mit dem 2012 gestarteten landesweiten Beteiligungsprozess. In der ersten Runde gab es in 18 Kommunen Beteiligungsworkshops, an auch Bürgerinnen und Bürger mitgearbeitet haben. Daraus sind tolle neue Projekte entstanden wie Dorftreffs, Ehrenamtsbörsen und Bürgerbusse, die die Menschen selbst auf die Beine gestellt haben. Dieser unglaubliche Gestaltungswille macht uns so optimistisch.
Redaktion: Das „Zusammenland Rheinland-Pfalz“ kann also auf das Engagement der Bürgerinnen und Bürger setzen. Welche Rolle haben die Ehrenamtlichen in ihrer Demografiepolitik?
Liesenfeld: Wenn wir zum Beispiel die älteren Menschen sehen, ist das Ehrenamt auf der einen Seite eine ganz große Möglichkeit, sich einzubringen und teilzuhaben. Ihr Engagement ist aber auf der anderen Seite ein großes Potenzial, das wir als Gesellschaft dringend brauchen – und das mit der steigenden Zahl älterer Menschen ja noch weiter wächst. Deshalb unterstützt die Landesregierung dieses Engagement beispielsweise mit Projekten wie den „SeniorTrainern und SeniorTrainerinnen“ und „Ich bin dabei“.
Redaktion: Können Sie das noch konkretisieren?
Liesenfeld: Wir unterstützen beispielsweise landesweit rund 400 Seniortrainerinnen und Seniortrainer dabei, ihre Erfahrungen und ihre Kraft für Projekte einzubringen, zum Beispiel als Wunschomas oder Handwerkspaten. Wichtig ist dabei aber: Ehrenamtliche können einen Teil der Gestaltungsaufgabe übernehmen. Aber sie sind ein Partner von vielen und können nicht die Aufgaben einer Landesregierung oder einer Kommune bewältigen.
Redaktion: Welche Rolle haben die Kommunen in ihrer Demografiepolitik?
Liesenfeld: Eine sehr wichtige. Die Angebote im Bereich der Daseinsvorsorge auch in Zukunft bedarfsgerecht und bezahlbar zu gestalten, da sind die Kommunen stark gefordert. Als Landesregierung unterstützen wir sie dabei; zum Beispiel mit der „Servicestelle Pflegestrukturplanung und Sozialraumentwicklung“ oder mit dem Programm „Starke Kommunen - Starkes Land“. Dabei wird in sechs Modellräumen eine interkommunale Kooperation erprobt, um zu schauen, wie zum Beispiel Mobilitätsangebote oder auch Freiwillige Feuerwehren gemeinsam sichergestellt werden können.
Redaktion: Die Sicherung der Daseinsvorsorge ist oft eher ein Problem im ländlichen Raum. Da setzen Sie auch zunehmend auf Digitalisierung, oder?
Liesenfeld: Ja, die Landesregierung hat ziemlich schnell erkannt, dass da zwei Megatrends nebeneinander laufen, die Digitalisierung und der demografische Wandel, die man sinnvoll miteinander verknüpfen kann. Das erproben wir an manchen Stellen auch ganz praktisch. Die Telemedizin bietet zum Beispiel gute Möglichkeiten, um die gesundheitliche Versorgung auf dem Land abzusichern. Das ist sicherlich nur eine Komponente der gesundheitlichen Versorgung, aber eine wichtige.
Redaktion: Welche Projekte können Sie aus diesem Bereich nennen?
Liesenfeld: Wir haben zum Beispiel in unserem Zukunftsprogramm „Gesundheit und Pflege 2020“ Projekte , in denen wir Menschen mit Herzinsuffizienzen durch telemedizinische Angebote unterstützen. Deren Vitaldaten werden per Internet an die beteiligten Kliniken weitergeleitet. So müssen sie nicht regelmäßig in die Klinik fahren. Die Klinik kann schnell die Daten überprüfen, so dass die Patienten sich sicherer fühlen und nach unseren Erkenntnissen auch tatsächlich irgendwann gesünder sind. Mit der Telemedizin können wir die größeren Distanzen, die in den ländlichen Räumen entstehen, gut überwinden. Auch im Bereich altersgerechte Assistenzsysteme hat die Landesregierung schon länger Projekte laufen, wo alleinstehende ältere Menschen in ihrem Wohnumfeld durch Technik unterstützt werden, damit sie länger zu Hause leben können.
Redaktion: Sie unterstützen auch das neue Projekt „Digitale Dörfer“. Um was geht es da?
Liesenfeld: Das ist ein Projekt des Fraunhofer- Instituts in Kaiserslautern, das Teil des Forschungsprogramms „smartruralareas“ ist. In zwei Modellregionen in Rheinland-Pfalz wird getestet, wo neue Technologien infrastrukturelle Schwächen ländlicher Räume kompensieren können. Es geht darum, dass man mit intelligenten Informations- und Kommunikationssystemen zum Beispiel Nachbarschaften vernetzt, die dann ihre Einkäufe gemeinsamen organisieren. Es soll in nächsten Schritten auch um Telemedizin gehen und um intelligente Transportmöglichkeiten. Wie neue Technologien die Versorgung im ländlichen Raum unterstützen können, das will die Landesregierung mit diesem Projekt in der Praxis erproben.
Redaktion: Interessant. Haben Sie das Gefühl, dass in diesen Projekten die Menschen die neuen Technologien auch annehmen?
Liesenfeld: Das ist die Sorge, die es oft gibt, wenn man über das Thema „neue Technologien“ spricht. In den Bereichen, wo wir technikunterstützende Systeme eingesetzt haben, haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Menschen ihre anfänglichen Bedenken schnell überwinden. Das kann man natürlich durch die richtigen Rahmenbedingungen fördern. Wir haben zum Beispiel in dem Projekt „SusiTD - Sicherheit und Unterstützung für Senioren durch Integration von Technik und Dienstleistung “ dafür gesorgt, dass die Teilnehmenden in enger Verbindung zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des jeweiligen Pflegestützpunktes standen. Auch dass keine Kameras eingesetzt wurden, sondern Sensoren, hat die Akzeptanz verbessert. Grundsätzlich gilt wohl: Technik wird dann gut angenommen, wenn man sie mit menschlicher Unterstützung verbindet. Und jetzt kommen ja Generationen, die sehr technikgewöhnt sind.
Redaktion: Digitalisierung löst also viele Probleme in ländlichen Regionen?
Liesenfeld: Sie ist nicht die alleinige Lösung und definitiv kein Ersatz für soziale Unterstützung, aber ein gutes Element in einem Gesamtpaket. Ich bin optimistisch, dass der technische Fortschritt und die Digitalisierung einige Probleme quasi „mitlösen“ werden. Das kann zum Beispiel auch im Bereich Arbeit so sein, Stichwort „Arbeitswelt 4.0“. Wenn beim „Cloudworking“ Probleme auf Internetplattformen eingestellt werden, dann ist es letztlich egal, ob derjenige, der das Problem löst, in Hongkong, Los Angeles oder in der Westpfalz lebt. Bei diesen neuen Möglichkeiten müssen wir natürlich genau hinsehen, welche Form von Arbeit entsteht. Diese Entwicklungen werden wir politisch begleiten müssen, auch durch die weitere Förderung des Breitbandausbaus. Aber es ist zweifellos ein ganz spannender Ansatz.
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Yvonne Eich und das Redaktionsteam des Demografieportals
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