„Nur wenn eine junge, hungrige Generation in der Stadt bleibt, kann wirkliche Veränderung stattfinden“Experteninterview
Frank Sonnabend ist Architekt und Unternehmer. Mit seinen kreativen Projekten belebt der Investor leerstehende Gebäudekomplexe in Erfurt und bietet damit praktische Ansätze für die Revitalisierung von Städten. Im Interview spricht er über Co-Working-Spaces und andere innovative Konzepte zur Gestaltung der Folgen des demografischen Wandels in Thüringen.
Sie sind seit Jahren aktiv in die Gestaltung Erfurts mit verschiedenen Großprojekten involviert. Nachdem Sie das Kontor – ein ehemaliges Warenlager – zu einem kreativen, multifunktionalen Ort umgebaut haben, wird nun die seit 20 Jahren leerstehende Defensionskaserne auf dem Petersberg wieder nutzbar gemacht. Woher nehmen Sie Ihre Ideen und was motiviert Sie?
Ich bin in den 1990er Jahren zum Studium nach Erfurt gekommen und habe mich danach bewusst entschieden, hierzubleiben. Mit der bewussten Wahl des Lebensmittelpunktes geht für mich auch die Entscheidung einher, den Lebensort Erfurt mitgestalten zu wollen – dies treibt mich auf eine sehr natürliche Weise an.
Erfurt ist eine wunderschöne Stadt, die Touristen immer wieder überrascht und begeistert. Zugleich kommen viele junge Menschen zur Ausbildung und zum Studium hierher, danach ziehen sie aber oft nach Leipzig oder Berlin weiter. Sie möchte ich zum Bleiben animieren, indem ich ihnen kreative und inspirierende Arbeits- und Lebensräume anbiete. Denn nur wenn eine junge, hungrige Generation in der Stadt bleibt, kann hier wirkliche Veränderung stattfinden.
Mir persönlich ist es sehr wichtig, einen Beitrag zur Stadtentwicklung zu leisten und Orte, die vormals „blinde Flecken“ durch Jahrzehnte des Leerstands geworden sind, neu zu beleben. Erfurt ist mehr als eine Verwaltungsstadt oder eine Stadt mit mittelalterlichem Stadtkern. Langfristig ist es wichtig, dass Leben in der Stadt ist und dafür müssen Angebote und Orte geschaffen werden.
Wie wird Ihr Angebot im Kontor aktuell angenommen und wie hoch ist die Nachfrage nach den entstandenen Co-Working-Spaces? Wie hat sich die Situation nach der Coronapandemie entwickelt?
Im Kontor erlebe ich spiegelbildlich, wie sich das Arbeiten verändert – nicht nur nach der Pandemie. Nachdem viele Menschen zum Homeoffice tendierten, merken sie inzwischen, dass dort oft der Austausch mit anderen fehlt. Zugleich möchte niemand mehr die Bürostrukturen der Jahrtausendwende, als man in kleinen Boxen mit niedrigen abgehängten Decken gearbeitet hat. Im Kontor habe ich die Chance, in einem kreativen Umfeld inspiriert zu arbeiten und mit Gleichgesinnten ins Gespräch zu kommen, über verschiedene Branchen und Unternehmen hinweg. Das befruchtet viele, und daher ist die Nachfrage groß.
Was ist Ihr Erfolgskonzept? Was würden Sie anderen raten, wie sie die Folgen des demografischen Wandels – wie Leerstand oder Wegzug – gegebenenfalls auch in anderen Regionen aktiv angehen und als Chance begreifen können?
Bei allen Projekten und Aufgaben ist es wichtig, das Ziel zu kennen und folgend alle Möglichkeiten, egal wie verrückt sie vielleicht sein mögen, zu durchdenken und natürlich ist es bei all dem Denken wichtig, mit dem Projekt zu beginnen. Es ist nicht immer möglich, alles bis zum Ende zu planen. Das würde vermutlich auch dazu führen, dass man nicht beginnt. Wenn dann im laufenden Prozess der gewählte Weg nicht zum Ziel führt, dann muss man eben einen anderen Weg finden und gehen.
Ich habe in Erfurt Architektur studiert und von daher reizen mich natürlich Orte und Gebäude mit einer besonderen Architektur und Geschichte – beim Kontor handelt es sich um einen industriellen Bau der 1960er Jahre, bei der Defensionskaserne um einen Zweckbau des frühen 19. Jahrhunderts – weil ich durch den Umgang mit ihnen stärker inhaltlich denken muss. Standardlösungen gibt es hier nicht, sondern nur sehr individuelle Optionen, die die Gegebenheiten vor Ort mit den Bedürfnissen unserer Zeit verknüpfen. Was die Architektur hier erfordert, gilt letztlich auch für andere Bereiche unserer Stadtentwicklung: Wir müssen mit dem arbeiten, was wir haben und damit starke Angebote und Lösungen schaffen. Ich kann natürlich immer lamentieren, dass Erfurt nicht Berlin ist. Ich kann aber auch sagen: Wir haben eine tolle Stadt im Aufbruch, die den Mut zur Veränderung braucht, die nicht so groß ist und daher eine gute Erreichbarkeit bietet und insgesamt eine höhere Lebensqualität. Wenn ich davon überzeugt bin, begeistert dies auch andere und schafft Bereitschaft, sich auf das Bestehende einzulassen. So gestalten wir Veränderung und Zukunft.
Gibt es bereits weitere Ideen und Projekte, die Sie ins Auge gefasst haben? Eventuell auch außerhalb Erfurts?
Im Moment arbeite ich quasi rund um die Uhr dafür, die Defensionskaserne noch in diesem Jahr fertigzustellen und damit den Petersberg ein Stück weiter in die Mitte Erfurts und Thüringens zu rücken. Wenn dies gelingt, bin ich sehr glücklich, denn daraus wird Erfurt einen echten Mehrwert ziehen.
Ehrlich gesagt, bin ich auch der festen Überzeugung, dass eine langfristige zukunftsträchtige Entwicklung nicht allein auf Erfurt beschränkt sein kann. Hier müssen Regionen genauso zusammengedacht werden wie Projekte. Die Region kann man nur mit den umliegenden Orten, wie Weimar, Jena, Ilmenau und auch Suhl, denken und dies geht nur gemeinsam.
Da ich neben der Architektur auch die Kunst sehr schätze und Bildung für mich der essenziellste Baustein der Gesellschaft ist, müssen wir diese Themen angehen und dies nicht übermorgen, sondern sofort.
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