„Sich zugehörig und verstanden zu fühlen unterstützt den Heilungsprozess nach langjährigen Gewalterfahrungen“
Alissa von Malachowski spricht im Interview über ihre Arbeit als Projektleiterin im Hamburger Projekt „Refugee Sisters“, das queere geflüchtete Frauen mit den Ressourcen und Informationen ausstattet, die sie benötigen, um ihre kurz- und langfristigen Ziele nach ihrer Ankunft in Hamburg zu verwirklichen.
Könnten Sie sich und das Projekt „Refugee Sisters“ in wenigen Sätzen vorstellen?
Ich bin Alissa von Malachowski, ich bin Psychologin und leite das Projekt Refugee Sisters in Hamburg. Refugee Sisters ist ein Projekt des Lesbenvereines „Intervention“. Ziel und Aufgabe von „Refugee Sisters“ ist die Beratung und Unterstützung von lesbischen und bisexuellen geflüchteten Frauen* und trans*, nichtbinären und inter* geflüchteten Personen (oder kurz: queere FLINTA-Personen). Zu unseren Angeboten gehören psychologische Unterstützung, Fachberatung zum Asylverfahren und Gemeindearbeit, also Gruppentreffen, Workshops, Veranstaltungen und Möglichkeiten zum digitalen Austausch.
Warum braucht es eine spezifische Beratungsstelle für diese Zielgruppe?
Queere FLINTA-Personen haben oft nur wenige Möglichkeiten zur Flucht. Viele müssen allein oder mit Familien fliehen, die nichts von ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität wissen dürfen. Sie leiden häufig unter Isolation, weil ihre Identität nicht anerkannt wird. Um sich zu schützen, müssen viele über lange Zeit ihre wahre Identität verstecken. Queere FLINTA-Personen, die ihre Identität nicht geheim halten konnten, haben oft schwerwiegende Gewalt vor der Flucht erfahren oder sind unter schweren Bedrohungen ausgereist. Auch nach der Ankunft in Deutschland kommt es immer wieder zu erneuten Ausgrenzungs- und/oder Diskriminierungserfahrungen bis hin zu weiteren Gewalterfahrungen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Unterbringung während des Asylverfahrens. In vielen Unterkünften gibt es oft nicht genügend Schutzmaßnahmen.
Gewalterfahrungen sind für queere Geflüchtete üblich, sagen Sie. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Gewalterfahrungen oder traumatische Ereignisse können den Glauben an die eigene Sicherheit erschüttern. Das kann Hilflosigkeit, Verzweiflung und Ohnmacht auslösen. Deswegen spielt Trauma-Arbeit eine große Rolle in der Beratung. Das bedeutet, dass ich einen großen Fokus auf Stabilisierung lege und Klient*innen darin unterstütze, äußere und innere Sicherheit aufzubauen. Zur äußeren Sicherheit gehören zum Beispiel Zugang zu einem gewaltfreien Wohnraum, kein Kontakt zu Täter*innen, Zugang zu Versorgung der Grundbedürfnisse, Zugang zu (queer- und trans*-inklusiver) medizinischer Versorgung und natürlich ein langfristiger Schutzstatus wie Asyl. Leider ist es aber nicht immer möglich, diese äußere Sicherheit für queere FLINTA-Personen während des Asylverfahrens aufzubauen.
Um innere Sicherheit aufzubauen, geht es in der Beratungsarbeit darum, Vertrauen in positive Kontakte aufzubauen. Auch geht es darum, positive Verknüpfungen mit queeren Identitäten zu schaffen. Sich zugehörig und verstanden zu fühlen unterstützt den Heilungsprozess nach langjährigen Gewalterfahrungen. Deswegen legen wir Wert auf unsere Veranstaltungen und Gruppentreffen. Sie bieten einen diskriminierungsfreien Raum, in dem kleine Momente der Freude entstehen und erlebt werden können und die Möglichkeit besteht, Personen kennenzulernen, die ähnliche Erfahrungen gemacht und überlebt haben.
Sie sagten, dass es Herausforderungen gibt, äußere Sicherheit für queere FLINTA-Personen im Asylprozess herzustellen. Können Sie ein paar konkrete Beispiele nennen?
Um überhaupt besonderen Schutz zu kommen, müssen queere FLINTA-Personen den ersten Schritt gehen und sich „outen“. Leider fehlen aber häufig sichere soziale Räume, in denen ein solches „Coming Out“ möglich ist. Es gibt wenig Möglichkeiten, während des Asylverfahrens geschützt untergebracht zu werden. Queere FLINTA-Personen müssen oft in großen Sammelunterkünften leben, in denen sie sich nicht sicher fühlen und queerfeindlichen Anfeindungen ausgesetzt sind. Oft gibt es nicht genügend Zugang zu Informationen über die Rechte von queeren FLINTA-Personen im Asylverfahren. Auch sind die Entscheidungen über Asylanträge von queeren FLINTA-Personen häufig nicht besonders konsistent. Gewalterfahrungen von queeren FLINTA-Personen werden oft nicht anerkannt.
Was wünschen Sie sich für das Projekt für die nächsten zehn Jahre?
Ehrlich gesagt, würde ich mir wünschen, dass das Projekt in zehn Jahren nicht mehr existieren müsste. Das sage ich nicht, weil ich meine Arbeit nicht liebe. Ich sage das, weil ich mir wünschen würde, dass die Belange und Schutzbedarfe von queeren FLINTA-Personen – innerhalb und außerhalb des Asylsystems – als selbstverständlich gelten würden und auch in der sogenannten „Regelversorgung“ umfangreich berücksichtigt werden würden.
Hamburg stärkt seinen Einsatz für Vielfalt und gegen Diskriminierung: Eine neue Antidiskriminierungsstrategie soll langfristige Ziele und Maßnahmen zur Förderung von Gleichberechtigung und Chancengleichheit in allen Lebensbereichen etablieren.
Unsere Gesellschaft und auch das Familienleben werden zunehmend vielfältiger. In Hamburg bietet das Regenbogenkinderfest einen Raum, um queere Familien sichtbar zu machen, die Vernetzung zu fördern und Kindern Identifikationsmöglichkeiten zu bieten.
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