Zum Start der Ländermonate auf dem Demografieportal spricht der Demografiebeauftragte Baden-Württembergs, Thaddäus Kunzmann, über demografiepolitische Herausforderungen seines Bundeslandes.
Die Bevölkerungszahl in Baden-Württemberg hat mit 11,1 Millionen einen neuen Höchststand erreicht, auch die Geburtenraten steigen. Warum wurden Sie im März 2017 als Demografiebeauftragter ins Amt berufen?
Ich freue mich sehr, dass Baden-Württemberg die Präsentation der Länder auf dem Demografieportal des Bundes und der Länder eröffnen darf. In demografischer Hinsicht ist Baden-Württemberg ein vielfältiges Land, in dem Menschen unterschiedlichen Alters und auch verschiedener Herkunft friedlich miteinander leben. Baden-Württemberg ist ja seit seiner Gründung 1952 das Zuzugsland in Deutschland. Das spiegelt sich, bedingt durch eine kluge 70-jährige Strukturpolitik, nicht nur in den städtisch geprägten Regionen wider, sondern flächendeckend. Die Vielfalt macht unser Land sehr stark. Aber natürlich sind auch wir vom demografischen Wandel betroffen. Die Auswirkungen sind vielschichtig und bedürfen entsprechender Antworten.
Auch in den anderen Bundesländern hat man Ansprechpartner für demografische Fragen benannt. Was ist der Vorteil an Ihrer Position als unabhängiger Demografiebeauftragter?
Ich bin weisungsungebunden und ressortübergreifend tätig. Weisungsungebunden heißt, dass ich auch den Finger in die Wunde legen und deutlicher als andere Schwächen und Versäumnisse benennen kann. Trotz meiner organisatorischen Anbindung an das Sozialministerium sind für mich viele andere Ressorts wichtig, zum Beispiel das Wirtschaftsministerium, da dort der Wohnbau zusammenläuft. Der klare Vorteil ist unsere Unabhängigkeit.
Zur Person: Thaddäus Kunzmann
Mit dem Koalitionsvertrag hat die Landesregierung die neue Stelle des Demografiebeauftragten geschaffen. Seit dem 1. März 2017 ist sie mit Thaddäus Kunzmann besetzt. Zuvor war er Mitglied im Landtag von Baden-Württemberg und dort Sprecher der CDU-Fraktion in der Enquetekommission „Zukunft der Pflege“. Thaddäus Kunzmann ist im Ehrenamt Stadt- und Kreisrat sowie Kreisbeauftragter des Malteser Hilfsdienstes im Landkreis Esslingen und Vorsitzender der Verkehrswacht Neuffen-Teck. Die Geschäftsstelle ist an das Ministerium für Soziales und Integration angegliedert.
Was sind die größten demografiepolitischen Herausforderungen in Baden-Württemberg?
Die große demografische Herausforderung stellt für uns alle das allmähliche Ausscheiden der Babyboomer-Generation aus dem Erwerbsleben dar, die ihre Auswirkungen beinahe auf alle Lebensbereiche haben wird: Arbeit, Wohnen, Mobilität, Pflege sowie Gesundheit. Mit Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge werden uns bald bundesweit sieben Millionen Arbeitskräfte fehlen. Noch kann sich unsere Gesellschaft auf diese Entwicklung vorbereiten. Insbesondere der Politik kommt die wichtige Rolle zu, weil sie auf die demografische Entwicklung einen gestalterischen Einfluss nehmen kann. Wir können die demografischen Entwicklungen sicher nicht stoppen, aber wir können auf sie doch entsprechend reagieren.
Die Menschen in Baden-Württemberg leben in 44 Stadt- und Landkreisen. Abgehängte Regionen gebe es nicht, betonten Sie bei der Halbzeitbilanz Ihrer Arbeit im September 2019. Wo sind die Folgen des demografischen Wandels am deutlichsten zu spüren?
Die Konsequenzen des demografischen Wandels werden vor allem die Kommunen spüren, denn sie sind die Orte, wo die Menschen leben. Es ist daher wichtig, sie auch für die demografischen Themen und Probleme zu sensibilisieren. Der erste wichtige Schritt wäre, dass man die konkreten Fragen vor Ort stellt: Haben wir genug altersgerechte Wohnungen und eine barrierefreie Umgebung? Ist die Nahversorgungsstruktur optimal? Sind die Mobilitätsangebote vor allem für alte und hochaltrige Menschen ausreichend? Wie wird der Zusammenhalt in der Nachbarschaft gestärkt und die ehrenamtliche Tätigkeit gefördert? Das alles sind „demografische Fragen“, denn der Demografie geht es vor allem um gleichwertige Lebensverhältnisse für alle Menschen. Deswegen ist das demografische Handlungsfeld so vielfältig. Wir dürfen nicht vergessen: Die demografischen Entscheidungen werden auf unterschiedlichen Ebenen gefällt, gelöst werden sie aber nur auf kommunaler Ebene. Der Erfolg der demografischen Politik hängt also wesentlich von unseren Kommunen ab.
Im letzten Jahr wurde Ihnen auch ein Demografiebeirat zur Seite gestellt. Zu welchem Zweck? Wie funktioniert die Zusammenarbeit?
Den Demografiebeirat habe ich 2019 geschaffen, um mich zum einen beraten zu lassen und zum anderen ein Netzwerk der unterschiedlichsten Akteure zu schaffen. Das Thema berührt ja nicht nur die Pflege, wie gemeinhin angenommen wird. Sondern vielmehr das Wohnen, die Mobilität, die Nahversorgung, ganz besonders im ländlichen Raum, die Digitalisierung, das soziale Miteinander und natürlich auch die Gesundheitsvorsorge.
Sie sind jetzt dreieinhalb Jahre im Amt: Was haben Sie bereits erreicht und was ist bis jetzt zu kurz gekommen?
Es ist mir gelungen, das Thema aus der Nische mehr in die öffentliche Wahrnehmung zu holen. Bis zur Corona-Krise habe ich jährlich rund 100 Vorträge gehalten und darüber hinaus an vielen weiteren Veranstaltungen teilgenommen. Die Einrichtung des Demografiebeirates war ein wichtiger Schritt. Aktuell habe ich hierzu mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Broschüre veröffentlicht, die unter der Adresse www.demografiebeauftragter-bw.de abzurufen ist. Und natürlich die Tatsache, dass durch das Zusammenführen verschiedenster Akteure am Runden Tisch „Wohnen für das Alter“ ein gutes Handlungspapier für die Politik erstellt werden konnte.
In den nächsten vier Monaten stellen Sie Ihre Demografiepolitik auf dem Demografieportal vor. Was erwartet uns?
Während der Landespräsentation werden wir zusammen mit unseren Kooperationspartnern die unterschiedlichen demografischen Themenbereiche darstellen und beschreiben: Barrierefreies Wohnen, Sport und Gesundheit, Jugend im demografischen Wandel sowie die Digitalisierungsstrategie des Landes. Ich wollte Ihnen aber heute in diesem Interview nicht alle Präsentationsdetails verraten. Schließlich soll ein Überraschungseffekt auch bei dieser Präsentation erhalten bleiben. Abschließend möchte ich nun betonen, dass der wahre Reichtum unseres Landes seine Menschen sind. Um diese Menschen – junge und alte, mit und ohne Migrationshintergrund, Frauen und Männer, Dorf- und Stadtbewohner – geht es in unserer Landespräsentation.
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