Demografiepolitik in Baden-WürttembergThemenartikel
Bereits 2005 hat die Enquête-Kommission „Demografischer Wandel – Herausforderungen an die Landespolitik“ umfassende Empfehlungen an die Landesregierung formuliert. Welche demografiepolitischen Ziele und Handlungsansätze gibt es in Baden-Württemberg im Jahr 2020? Wichtige Themen sind unter anderem die Förderung des barrierefreien Wohnens, der Ausbau der digitalen Infrastruktur oder die Stärkung des Zusammenhalts.
Beitrag des Demografiebeauftragten des Landes Baden-Württemberg Thaddäus Kunzmann
Im Jahr 2006 hat die Europäische Kommission die konkreten Maßnahmen zur „Bewältigung der Herausforderungen des demografischen Wandels“ vorgeschlagen. Mit diesen Maßnahmen hat sie eine gesamteuropäische Linie in der demografischen Politik gezeichnet. Grundlage der Demografiepolitik in Deutschland ist seit 2012 die Demografiestrategie der Bundesregierung „Jedes Alter zählt – Für mehr Wohlstand und Lebensqualität aller Generationen“. Diese wurde im Jahr 2015 weiterentwickelt.
Auch die Bundesländer haben die demografische Thematik auf ihrer Agenda. Baden-Württemberg stellt in diesem Fall keine Ausnahme dar. Im Jahr 2004 hat der Landtag von Baden-Württemberg eine Enquête-Kommission „Demografischer Wandel – Herausforderungen an die Landespolitik“ installiert, die 2005 umfassende Empfehlungen an die Landesregierung formuliert hat.
2017: Einrichtung des Amts als unabhängiger Demografiebeauftragter
Zwischen 2006 und 2010 gab es in Baden-Württemberg eine ehrenamtliche Staatsratsstelle für Demographischen Wandel, die von Frau Prof. Dr. Claudia Hübner bekleidet wurde. Seit dem 1. März 2017 beschäftige ich mich als Demografiebeauftragter des Landes mit den Herausforderungen des demografischen Wandels, entwickele entsprechende Lösungskonzepte und präsentiere sie der Öffentlichkeit. Ich arbeite hauptamtlich und bin gegenüber der Landesregierung nicht weisungsgebunden. Im Jahr 2019 wurde zur Unterstützung meiner Arbeit ein Demografiebeirat eingerichtet. Die wichtigste Aufgabe des Beirates liegt darin, mir als Demografiebeauftragten beratend zur Seite stehen und gemeinsam eine „Gesamt-Leitlinie“ im Bereich der demografischen Politik zu entwickeln.
Meine vorrangige Aufgabe sah ich zunächst darin, längerfristige Entwicklungsziele für das Land zu beschreiben und vorrangige demografische Aufgaben zu benennen.
Kommunale Demografiepolitik interaktiv
- Demografie-Spiegel Baden-Württemberg: Der Demografie-Spiegel ist ein Instrument, mit dem Entscheidungsträger und interessierte Bürger die regionale demografische Entwicklung schnell und differenziert einschätzen können. Das Angebot ermöglicht zeitliche und räumliche Vergleiche.
- Kommunale Demografiekonzepte: Die interaktive Karte bietet die Möglichkeit, sich über bestehende Konzepte zu informieren, mit anderen Stadt- und Landkreisen in Kontakt zu kommen und sich über Erfahrungen auszutauschen.
- Wohnberatungsstellen: Mit der interaktiven Karte sind Wohnberatungsstellen in Baden-Württemberg auf einen Blick sichtbar. Bei der Wohnberatung geht es um altersgerechten Um- oder Neubau. Angehörige von Menschen mit Pflegebedarf erhalten Informationen über notwendige Anpassungsmaßnahmen.
Demografische Handlungsstrategie
Den Ausgangspunkt der konzeptionellen Überlegungen bildet die These, dass unser Land vor zwei „kritischen Jahrzehnten“ steht: Es ist einerseits das Jahrzehnt zwischen 2025 und 2035, in dem die geburtenstarken Jahrgänge aus dem Berufsleben ausscheiden werden und andererseits das Jahrzehnt, das ab etwa 2040 beginnen wird, in dem die geburtsstarken Jahrgänge hochaltrig und möglicherweise pflegebedürftig sein werden – mit allen sich daraus ergebenden Folgen. Für diese spezifischen zwei Dekaden braucht das Land eine breit angelegte demografische Handlungsstrategie, die auf die Lösung folgender Probleme zielen soll:
Das barrierefreie Wohnen fördern
Wir brauchen mehr barrierefreie Wohnungen, denn der Bedarf an barrierefreien Wohneinheiten wird wachsen. Bis 2040 wird er alleine in Baden-Württemberg auf rund eine halbe Million geschätzt. Diese Zahl von Wohnungen kann, realistisch betrachtet, nicht geschaffen werden – insbesondere nicht in den Städten. Die Gründe dafür sind fehlendes beziehungsweise überteuertes Bauland sowie stark ausgelastete Bauhandwerksbetriebe. Der Schwerpunkt soll daher auf die Modernisierung des vorliegenden Wohngebäudebestandes sowie auf die Förderung des barrierefreien Wohnungsbaus gelegt werden. Dabei müssen die Auflagen zum Um- und Neubau von barrierefreiem und bezahlbarem Wohnraum verbunden werden. Die im April 2020 veröffentlichten Handlungsempfehlungen des Runden Tisches „Wohnen für das Alter“ unter der Leitung des Demografiebeauftragten Kunzmann fassen die Herausforderungen für die Landespolitik zusammen.
Die Verkehrsinfrastruktur auszubauen
Nicht nur die Barriere-, sondern auch die Bewegungsfreiheit ist für die Lebensqualität der älteren sowie in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkten Menschen wichtig, denn auch diese Menschen sind mobilitätsbedürftig. Es ist daher notwendig, die flexiblen und zielgruppenorientierten Mobilitätsangebote zu entwickeln sowie unkomplizierte Verbindungen durch die Stadt und auf dem Land den Menschen anzubieten.
Die Nahversorgung sichern
Die Versorgungssicherheit ist für das Alltagsleben aller Menschen von großer Bedeutung. Was wünschen sich die Menschen in der Nähe ihres Wohnortes? In der Regel ein Ladengeschäft zum Einkauf von Dingen des täglichen Bedarfs, eine Bäckerei, ein Bankautomat, das Rathaus, den Kindergarten, den Arzt, das Bürgerhaus und die Bushaltestelle. Die Nahversorgung ist an manchen Orten insbesondere im ländlichen Raum ins Wanken geraten. Die wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung bleibt eine der großen demografischen Aufgaben. Generell muss gelten, dass die Versorgung zu den Menschen kommen muss und nicht die Menschen der Versorgung hinterherziehen müssen.
Digitale Infrastruktur auszubauen
Wir leben im digitalen Zeitalter, aber gerade in Sachen digitale Infrastruktur bleibt Deutschland nur Mittelfeld. Es gibt noch viel zu tun in diesem Bereich: Wir müssen zum Beispiel den Breitbandausbau auf dem Land vorantreiben, die Ausstattung von Schulen mit Smart Boards und modernen Technologien verbessern sowie die digitale Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter intensivieren. Denn Digitalisierung kann uns helfen, die demografischen Probleme zu lösen. Vor allem kann sie altersgerechte Arbeitsplätze schaffen und dadurch Teilhabe und Partizipation der Älteren ermöglichen.
Den Zusammenhalt in einer alternden und vielfältigen Gesellschaft stärken
Wir sollen dafür sorgen, dass die älteren Menschen die Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe und Partizipation auch bei sich lösenden Familienbindungen oder bei einem Umzug in eine neue, barrierefrei gebaute Wohnung nicht verlieren. Und wir sollen auch den eingewanderten Menschen Teilhabe und Partizipation ermöglichen. Weder Ältere noch Zuwanderer dürfen sich von der Gesellschaft abgehängt oder ihr nicht zugehörig fühlen.
Zukunft der Demografiepolitik
Die oben genannten Ziele können wir erfolgreich nur mit einem vernetzten politischen Vorgehen, das koordiniertes Handeln voraussetzt, erreichen. Die Demografie war und bleibt eine Querschnittsaufgabe, die wir nur zusammen bewältigen können. Hier liegt eine Chance dafür, dass der demografische Wandel uns nicht trennen, sondern umgekehrt verbinden wird.