Zahlen, Fakten und Argumente zum barrierefreien Wohnen in Deutschland und Baden-Württemberg.
Ein Beitrag des Demografiebeauftragten des Landes Baden-Württemberg Thaddäus Kunzmann.
Die moderne Wohnwelt ist vielfältig geworden. Denn in den letzten Jahrzehnten entwickelten sich rasant die alternativen Wohnformen, die vielfältige Bedürfnisse von Menschen in den verschiedenen Lebensphasen und -situationen berücksichtigen. Dies betrifft auch das Wohnen im Alter. Die älteren Menschen leben heute sowohl in Mehrgenerationenhäusern als auch in Wohngemeinschaften sowie in Pflegeeinrichtungen. Aber die überwiegende Mehrheit von ihnen bevorzugt doch die eigene Wohnung, mit der sie, wie es eine Studie der Bielefelder Universität bestätigt, zufrieden ist.
Nur neun Prozent der älteren Menschen seien mit ihrer Wohnsituation unzufrieden oder weniger zufrieden. Die Zufriedenheit begründe sich im Wesentlichen darin, dass die derzeitige Wohnsituation selbst gewählt wurde und nicht das Ergebnis ungewollter äußerer Umstände sei. Deswegen sei der Wunsch nach Veränderung in dieser Altersgruppe kaum vorhanden, stellt die oben genannte Studie fest.
Interessant sind die Vorstellungen der Altersgruppe der über 65-Jährigen zur Barrierefreiheit: Barrierefreier Zugang ist für 43,4 Prozent von ihnen sehr wichtig, für 40,5 Prozent ist er wichtig, für 11,1 Prozent weniger wichtig und nur für fünf Prozent unwichtig. Die Umfrage zeigt, dass Barrierefreiheit von den älteren Menschen hochgeschätzt wird.
Hier stellt sich aber sofort die Frage: Inwieweit sind die Eigenheime in Deutschland barrierefrei?
Vor vier Jahren gab es in Deutschland rund 770 000altersgerechte Wohnungen. Das sind nur zwei Prozent des gesamten Wohnungsbestandes. Die oben geschilderte Situation hat sich seitdem kaum verändert. Der Bedarf an barrierefreien und altersgerechten Wohnungen bleibt groß. Im Jahr 2025 werden nach einer Studie des Instituts für Bauforschung (Hannover) bereits zwei Millionen und bis 2030 sogar drei Millionen Wohnungen für Senioren in Deutschland benötigt. In Baden-Württemberg sind zum Jahr 2040 rund 500 000 barrierefreie Wohnungen nötig.
2Prozent
aller Wohnungen und Einfamilienhäuser in Deutschland sind einigermaßen barrierefrei
Situation in Baden-Württemberg
Die Zahl der hochbetagten Menschen in Baden-Württemberg wird sich in den kommenden 30Jahren mehr als verdoppeln. Die Familienarrangements werden sich ändern. Bereits heute sind fast drei Viertel der Haushalte in Baden-Württemberg Ein- und Zweipersonenhaushalte (72 Prozent). Diesen Haushalten steht eine völlig andere Struktur der Wohngebäude gegenüber. 82 Prozent der Gebäude sind Ein- oder Zweifamilienhäuser.
82 Prozent der Wohngebäude in Baden-Württemberg sind Ein- und Zwei-FamilienhäuserQuelle: Quelle: Berechnungen des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg
Die Mehrzahl der älteren Paare und der alleinstehenden Senioren wohnt also in Häusern mit sehr großer Wohnfläche. Die ganz große Mehrzahl der Häuser und Wohnungen, in denen die Senioren heute leben, ist 30 Jahre und älter. Damit stellt sich die Frage nach dem altersgerechten Zustand. Der Anteil der vollkommen barrierefreien Wohnungen in Baden-Württemberg ist marginal. Lediglich 15 Prozent der Wohnungen haben überhaupt einen barrierefreien Zugang.
Daraus folgt, dass in Baden-Württemberg und ganz Deutschland mehr barrierefreie Wohnungen gebaut werden müssen. Was ist aber Barrierefreiheit und was bringt sie den Menschen?
Im breiten Sinne des Wortes versteht man unter „Barrierefreiheit“ die Möglichkeit, sich im jeweiligen Lebensbereich hindernisfrei zu bewegen. Man spricht daher über Barrierefreiheit sowohl im Wohnbereich (hindernisfreie Wohnung) als auch am Arbeitsplatz (das barrierefreie Büro), im Internet (freier Zugang zu Informationen) sowie im Verkehrs- und Mobilitätsbereich (zum Beispiel Lage der Pkw-Stellplätze). Für das soziale Leben ist Barrierefreiheit besonders wichtig, weil sie für die Betroffenen nicht nur Bewegungsfreiheit, sondern auch Freiheit als solche bedeutet.
Argumente für mehr Barrierefreiheit
Bewegungsfreiheit ist vor allem Freiheit, die die soziale Inklusion unterstützt sowie politische und kulturelle Teilhabe fördert. Sie trägt zur individuellen Selbstrealisierung des Menschen bei und fördert seine Entwicklung. Für mehr Barrierefreiheit sprechen nicht nur ökonomische, sondern auch soziale Argumente, die ich im Folgenden zusammenfassen möchte.
1. Kostenargument
Wer barrierefrei baut, der baut langfristig und zukunftssicher, weil nur so sich in Zukunft sowohl die langen Umbauzeiten als auch Folgekosten und Mehraufwand vermeiden lassen. Zumal barrierefreies Wohnen keine Frage der Kosten, sondern eher der Konzeption und Planung ist.
Bei Neubauten, behaupten die Spezialisten, verursacht hindernisfreies Bauen Mehrkosten von weniger als zwei Prozent der Gesamtbausumme:
Je früher man die Hindernisfreiheit einplant, desto billiger wird sie. Am günstigsten ist es, Gebäude von Anfang an hindernisfrei zu planen, damit sie für alle Nutzerinnen und Nutzer zugänglich sind. Dies ist nicht teuer: Es macht im Mittel nur 1,8 Prozent der Bausumme aus. Lediglich ein Drittel davon ist für Maßnahmen, die ausschließlich Menschen mit einer Behinderung dienen, also zum Beispiel einen Treppenlift für Rollstuhlfahrende. Vom Rest – etwa Aufzüge oder bequeme Eingänge – profitieren alle.
Architekt Wolfgang Löschnig
2. Nutzungsargument
Es herrscht nach wie vor die Meinung, dass eine barrierefreie Bauweise automatisch auf die Zielgruppen Senioren und Menschen mit Handicaps beschränkt sei. Aber Barrierefreiheit schafft Komfort nicht nur für ältere oder behinderte Menschen, sondern für alle Nutzergruppen.
Der Abbau von physischen Barrieren kommt allen Menschen zugute, behauptet zu Recht eine ADAC-Fachbroschüre: „Barrierefreiheit ist für zehn Prozent der Bevölkerung notwendig, für 30 Prozent hilfreich und für alle anderen Menschen komfortabel. Sie schafft langfristig und nachhaltig für alle Bevölkerungs- und Altersgruppen ein hohes Maß an Lebensqualität im öffentlichen Raum.“, betont der ADAC in seiner Broschüre über barrierefreie Infrastruktur.
Und das letzte und entscheidende Argument für Barrierefreiheit ist folgendes: Hindernisfreies Leben bringt mehr Gerechtigkeit mit sich.
3. Gerechtigkeitsfaktor
In einer Gesellschaft, die nach Teilhabe und Partizipation strebt, darf es keine Barrieren geben. Das gilt für die Stadt und für das Land, für Infrastruktur und Mobilität und selbstverständlich auch für den Wohnbereich. Alle Menschen sollen die Möglichkeit haben, sich in ihrem jeweiligen Lebensbereich hindernisfrei bewegen zu können. Dies macht unsere Gesellschaft gerechter und menschlicher.
Und genau dieser Gedanke, dass die in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkten Menschen eine politische Unterstützung dringend brauchen, lag meiner Idee zugrunde, einen runden Tisch einzuberufen, der konkrete Handlungsempfehlungen für barrierefreies Wohnen herausgearbeitet hat.
Vertreterinnen und Vertreter von Genossenschaften, den Kommunalen Spitzenverbänden, der Eigentümer, Architekten, der Wissenschaft, den Familien-, Senioren- und Behindertenverbänden, Krankenkassen, Wohnberatungen fordern in den von uns entwickelten Handlungsempfehlungen den Fokus verstärkt auf folgende Handlungsfelder zu legen:
Wissen und Forschung: Gründung eines Landeskompetenzzentrums mit der Aufgabe der koordinierten Forschung und umfassender Wissenssammlung.
Beratung und Begleitung: Schaffung von entsprechenden Beratungs- und Begleitstrukturen, die zum barrierefreien Umbau beraten als auch den unterstützenden Übergang in generationenübergreifendes beziehungsweise gemeinschaftliches Wohnen erleichtern sollen.
Investive Förderung: Verbesserung der einkommensunabhängigen Förderung vor allem durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) sowie die kommunalen und Landesförderprogramme.
Bettina Scheu leitet bereits 20 Jahre die älteste Wohnberatungsstelle in Baden-Württemberg. Ehrenamtliche sind ein zentraler Bestandteil in der Wohnberatung, betont sie im Interview.
Ursula Kremer-Preiß, Leiterin des Fachbereichs Wohnen und Quartiersentwicklung im Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA), erläutert was alters- und generationengerechtes Wohnen heute bedeutet.
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