Wie steht es um das altersgerechte Wohnen?Experteninterview
Ursula Kremer-Preiß erläutert in 5 Fragen und Antworten, was alters- und generationengerechtes Wohnen heute bedeutet. Als Leiterin des Fachbereichs Wohnen und Quartiersentwicklung im Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) ist sie Expertin für das Thema Wohnen im Alter. Im Demografiebeirat des Landes Baden-Württemberg unterstützt sie die Arbeit des Demografiebeauftragten des Landes, Thaddäus Kunzmann.
Ursula Kremer-Preiß, Leiterin Fachbereich Wohnen und Quartiersentwicklung im Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA)
Warum ist das Thema altersgerechtes Wohnen so wichtig?
Wohnen ist ein Lebensbereich mit elementarer Bedeutung für alle Menschen. Wohnen zählt zu den menschlichen Grundbedürfnissen, es ist identitätsstiftend und Mittelpunkt alltäglicher Lebenserfahrung. Mit zunehmendem Alter wird das Wohnen noch bedeutsamer, weil die Wohnung mehr und mehr zum Lebensmittelpunkt wird. Ältere Menschen verbringen den weitaus größten Teil ihres Alltags zu Hause in der Wohnung. Ältere wohnen im Durchschnitt auch besonders lange in ihren Wohnungen und weisen damit eine hohe emotionale Verbundenheit mit ihrer Wohnung und ihrem Wohnumfeld auf. Die Zufriedenheit mit der Wohnsituation und dem Wohnumfeld ist besonders im Alter ein wichtiger Indikator für Lebensqualität. Verschiedene Studien unter anderem der ökogerontologischen Forschung konnten dies nachweisen. Ökologische Gerontologie erforscht das Erleben und Handeln von älteren Menschen in ihrer jeweiligen räumlich-sozialen Umwelt und untersucht, wie die Passung zwischen individuellen Kompetenzen und Rahmenbedingungen in der Umwelt gelingt.
Wohnen im Alter ist jedoch mit besonderen Gestaltungsanforderungen verbunden. Ältere Menschen brauchen bei Beeinträchtigungen eine barrierefreie Wohnung und ein barrierearmes Wohnumfeld, erreichbare Infrastruktur und soziale Kontaktmöglichkeiten sowie verfügbare Hilfen im Alltag und bei Pflegebedarf. In den vergangenen Jahren hat sich viel getan, um die Wohnangebote auf die altersspezifischen Bedarfe auszurichten. Jedoch sind immer noch viele Wohnangebote für diese Zielgruppe nicht geeignet. Angesichts der demografischen Entwicklung, der bestehenden Wohnungsnot, der Altersarmut, des Pflegenotstandes und der zunehmenden sozialen Differenzierungen wird für immer mehr Menschen die Suche nach einem passenden Wohnangebot zu einem zunehmenden Lebensrisiko. Denn dies ist ein entscheidendes Moment, ob sie im Alter ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben führen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.
Was sind die Entwicklungen und neuesten Erkenntnisse in diesem Handlungsfeld?
Um mehr altersgerechte Wohnangebote zu schaffen, sind in den vergangenen Jahren vielfältige Initiativen gestartet worden. Förderangebote wurden initiiert, gesetzliche Regelungen wurden verändert, zahlreiche Wohnberatungsstellen wurden eingerichtet. Initiativen wurden gestartet, um die Wohnquartiere gemeinsam passgenau weiter zu entwickeln und „Neue Wohnkonzepte“ haben sich etabliert, die die besonderen Wohnwünsche älterer Menschen aufgreifen.
Wohnen im Alter ist dadurch heute bei Weitem mehr als die gängige Vorstellung „Wohnen im Alter = Wohnen im Heim“: Institutionelle, also stationäre, Wohnsettings haben ihr Angebot dahingehend verändert, dass sie mehr Selbstbestimmung und ein am normalen Alltag orientiertes Leben geöffnet ins Quartier ermöglichen, zum Beispiel Hausgemeinschaftskonzepte oder stationäre Quartiershäuser.
Häusliche, also ambulante, Wohnsettings verbinden die individuelle Lebensweise in einer „normalen“ Wohnung mit mehr Versorgungssicherheit und mehr Teilhabe. Beispiele hierfür sind Mehrgenerationenwohnen, betreutes Wohnen, ambulant betreute Pflegewohngemeinschaften, Quartierskonzepte, Wohnverbundmodelle. Das heißt, es wird in der Praxis mit Wohnkonzepten experimentiert, die die Sektorengrenzen von ambulant oder stationär zunehmend überschreiten und sich zu „hybriden“ Wohnmodellen entwickeln, zum Beispiel „stambulante“ Wohnmodelle. In unserer KDA-Arbeitshilfe [LINK] kann man nachlesen, wie die Umsetzung solcher neuen Wohnformen für Pflegebedürftige gelingt.
Wie gestaltet sich die Situation in Baden-Württemberg?
Auch in Baden-Württemberg sind diese Tendenzen zu finden und sie werden vom Land durch Förderung oder besondere Landesstrategien unterstützt, so zum Beispiel
die landeseigene Fachstelle für ambulant unterstützte Wohnformen (FaWo). Sie trägt durch breit angelegte Information, Öffentlichkeitsarbeit, Netzwerkarbeit und fachliche Beratung zu einer innovativen Neuausrichtung der Wohn- und Pflegelandschaft im Land bei.
die neue Förderung im Rahmen des Programms ,,Gemeinsam unterstützt & versorgt wohnen“: Mit einer Summe von 15 Millionen Euro im Jahr will das Land ab 2020 neue Wohnformen für Seniorinnen und Senioren sowie Menschen mit Behinderungen fördern und dadurch die Lücke zwischen Heimversorgung und einer nur stundenweisen Unterstützung in der eigenen Wohnung schließen.
die Landesstrategie „Quartier 2030.Gemeinsam.Gestalten.“: Sie unterstützt Städte, Gemeinden, Landkreise und zivilgesellschaftliche Akteure bei der alters- und generationengerechten Quartiersentwicklung und sichert so auch das altersgerechte Wohnen im vertrauten Wohnumfeld in gemeinschaftlicher Unterstützung.
Wer und was ist besonders gefordert?
Die Schaffung einer ausreichenden Anzahl und eines passgenauen Angebotes an altersgerechten Wohnungen vor dem Hintergrund der bereits erwähnten demografischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen erfordert ein synergetisches Zusammenwirken Vieler. Weder staatliche Akteure wie das Land oder die Kommunen noch professionelle Akteure wie die Wohnungswirtschaft und Sozialwirtschaft noch die Zivilgesellschaft können dies alleine bewältigen. Auch hinsichtlich der professionellen Akteure braucht es eines gemeinsamen Zusammenwirkens der Professionen – von den planenden Architekten über das Baugewerbe bis hin zum Dienstleistungsgewerbe. Daher sind Austausch und Vernetzung wie der in Baden-Württemberg installierte „runde Tisch für altersgerechtes Wohnen“ besonders gefordert. In solchen Austauschrunden gilt es in besonderem Maße, auch die Betroffenen einzubeziehen. Nicht für sie, sondern mit ihnen ist ein bedarfsgerechtes Wohnangebot zu entwickeln. Die Bewältigung der Herausforderungen bei der Schaffung eines bedarfsgerechten Wohnangebotes für ältere Menschen kann nur in geteilter Verantwortung gelingen.
Wohin geht der Trend?
Hybride Wohnformen ermöglichen Menschen mit Unterstützungsbedarf ein selbstbestimmtes Wohnen nach ihren individuellen Vorstellungen und gewährleisten zugleich ein hohes Maß an Versorgungssicherheit. Aktuell stehen sie immer noch vor enormen Herausforderungen bei der Umsetzung. Die unterschiedlichen ordnungs- und leistungsrechtlichen Regelungen im ambulanten und stationären Sektor führen in der Praxis nicht selten dazu, dass solche Wohnangebote ihren Betrieb wieder aufgeben müssen. Es wird befürchtet, dass die Fragmentierung der Sektoren Innovationen beim Wohnen im Alter verhindert.
Dies hat in den letzten Jahren eine Debatte in Gang gesetzt, in Zukunft ein Wohnen ohne Sektorengrenzen zu ermöglichen. Dafür setzt sich insbesondere die Initiative ProPflegereform ein. Aktuell werden die Umsetzungsherausforderungen sowie die neuen Rollen und Verantwortlichkeiten bei solchen sektorenübergreifenden Wohnangeboten diskutiert. Hierbei geht es vor allem um die Gewährleistungsverantwortung bei Wohnangeboten für eine pflegebedürftige Bewohnerschaft. Unabhängig von der Frage, ob es in Zukunft ein Wohnen ohne Sektoren geben wird und wie dies rechtlich ausgestaltet sein wird, ist davon auszugehen, dass professionelle Anbieter von Wohn- und Versorgungssettings in Zukunft eine andere Rolle einnehmen werden. Sie sind nicht mehr nur Wohnungs- oder Pflegeleistungsanbieter, sondern haben mehr koordinierende Funktionen und müssen die Aufgabe übernehmen, Ermöglichungsräume zu schaffen, um Menschen die Chance zu eröffnen, teilhaben und teilnehmen zu können.
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