Demografieexperte für nachwachsende GenerationenKopf des Monats
Ulrich Bürger (66 Jahre) ist Erziehungswissenschaftler und arbeitete bis zu seinem Ruhestand als wissenschaftlicher Mitarbeiter im baden-württembergischen Landesjugendamt. Er untersuchte über mehr als drei Jahrzehnte die Auswirkungen des gesellschaftlichen und demografischen Wandels auf die Lebenslagen von Kindern, Jugendlichen und Familien. Dabei war und ist es ihm besonders wichtig, die Erkenntnisse als Impulse für konkretes Handeln in die Kreise, Städte und Kommunen in Baden-Württemberg zu vermitteln.
Wie kam es dazu, dass Sie sich so intensiv mit den Aspekten der nachwachsenden Generation im demografischen Wandel beschäftigen?
Dass es in den 1990er Jahren beim Thema demografischer Wandel nur um die Schaffung von Versorgungsstrukturen für die absehbar steigende Zahl älterer Menschen ging, hielten wir als Landesjugendamt für nicht hinnehmbar. Wir haben ja den gesetzlichen Auftrag, darauf hinzuwirken, dass den Interessen von jungen Menschen und Familien angemessen Rechnung getragen wird. Deshalb haben wir eine landesweite Berichterstattung aufgebaut, die in einem Fünfjahreszyklus umfassende Analysen und Folgerungen zum demografischen Wandel aus dem Blickwinkel der nachwachsenden Generation veröffentlicht.
Wie kann man sich diese Berichterstattung genauer vorstellen?
Die Berichte beschreiben zunächst die erwarteten demografischen Entwicklungen in den 44 Stadt- und Landkreisen in Baden-Württemberg. Hinzu kommen kreisvergleichende Betrachtungen zum Ausbaustand der sozialen Infrastruktur für Kinder, Jugendliche und Familien. So werden die konkreten Ausgangslagen sowie die kommunalspezifischen Herausforderungen und Gestaltungserfordernisse gut erkennbar.
Das „Herzstück“ unseres Ansatzes sind aber letztlich nicht die Berichte, sondern die Transferleistungen, die wir für alle Stadt- und Landkreise sowie interessierte Kommunen erbringen. Im zurückliegenden Jahrzehnt haben wir die Thematik in über 400 Vorträgen und Diskussionen in kommunalpolitischen Gremien und lokalen Fachveranstaltungen im Lande vorangebracht.
Was nützt es den Kreisen und Kommunen, wenn das Thema aus der Perspektive dieser landesweiten Berichterstattung bearbeitet wird?
Zunächst gilt: Niemand kennt die örtlichen Verhältnisse und Strukturen besser als die Bürgerinnen und Bürger und die von ihnen gewählten kommunalpolitischen Vertreter. Unsere Stärke liegt zum einen darin, dass wir grundlegende Auswirkungen der demografischen Dynamiken auf die Entwicklung des Landes darstellen. Zum anderen erschließen wir eine kreis- und kommunenvergleichende Perspektive. Sie ist oftmals außerordentlich wichtig, um die jeweils eigene Ausgangslage und auch die Gestaltungserfordernisse vor Ort realistisch einordnen zu können.
In unserem Bericht aus dem Jahr 2020 haben wir den Blickwinkel nun auch auf die Aspekte der Gestaltung des Sozialen in einer generationenübergreifenden Perspektive erweitert. Die Analysen berücksichtigen jetzt die Veränderungen in allen Altersgruppen und entwickeln fachplanerische Leitlinien etwa zum sozialräumlichen Gestalten. Damit sind wir einem dringenden Wunsch unserer Zielgruppen nachgekommen.
Vortrag zum Bericht „Kinder- und Jugendhilfe im demografischen Wandel – Update 2020“
Meine schönste Erfahrung …
sind die zahlreichen Rückmeldungen zu kommunalpolitischen Entscheidungen und kommunalen Gestaltungsprozessen, die durch unsere Impulse initiiert oder argumentativ unterstützt werden konnten. Hierzu zählen der Einstieg in kommunale Gemeindeentwicklungsprozesse oder der Ausbau von Angeboten einer familiengerechten Kindertagesbetreuung. Auch die Schaffung von hauptamtlichen Stellen, etwa im Bereich der offenen und verbandlichen Kinder- und Jugendarbeit gehören dazu.
Was raten Sie Kommunen am häufigsten?
Sich unbedingt mit den demografischen Dynamiken im eigenen Kreis und in der eigenen Kommune zu beschäftigen. Diese sind im Vergleich der 44 Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg, und stärker noch im Vergleich der kreisangehörigen Städte und Gemeinden innerhalb eines Kreises, völlig unterschiedlich, ja zum Teil gegenläufig. Wer das nicht erkennt und darauf bezogene lokale Handlungsstrategien entwickelt, kann die Herausforderungen des demografischen Wandels nicht gelingend bewältigen.
Mit welchen falschen Vorstellungen müssen Sie aufräumen?
Der leider immer noch öfters anzutreffenden Auffassung, dass die Beschäftigung mit dem demografischen Wandel letztlich eine Form des Kaffeesatzlesens sei. Diese Einschätzung unterschätzt völlig die auch längerfristig nur schwer veränderbaren Grunddynamiken der Bevölkerungsentwicklung.
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