Springe direkt zu:
Karin Bucher, seit Mai 2008 Erste Bürgermeisterin der 17.000-Einwohner-Stadt Cham in der Oberpfalz, möchte Menschen zum Umstieg auf den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) bewegen. Denn die Menschen in ihrem Landkreis werden älter und können in Zukunft nicht mehr alleine mit dem Auto überall hinkommen, erläutert sie im Interview. Beim Demografiedialog des Bundesinnenministeriums am 4. Dezember 2018 in Cham hat sie neue Denkanstöße zur Mobilität in ländlichen Regionen erhalten.
Sie sind Erste Bürgermeisterin der bayerischen Stadt Cham im dünn besiedelten gleichnamigen Landkreis. Wie erleben Sie vor Ort den demografischen Wandel?
Wir erleben ihn vor allem dadurch, dass unsere Bevölkerung weniger wird und dass sie älter wird. Es ist bei uns lokal auch sehr unterschiedlich. Im Stadtgebiet Cham und in ein paar anderen Orten des Landkreises haben wir Stabilität, aber insgesamt verliert der ganze Landkreis Bewohner. Er verliert sie insbesondere deshalb, weil der Zuzug in die Städte nach wie vor anhält. Die zweite Auswirkung ist, dass das Älterwerden der Bevölkerung natürlich auch das eine oder andere Problem mit sich bringt.
Stichwort älter werdende Bevölkerung. Was müssen Sie vor Ort als Bürgermeisterin tun, welche Herausforderungen gibt es?
Wir müssen unsere Infrastruktur anpassen. Es beginnt bei den Straßen, zum Beispiel, wie baue ich Straßen so, dass ältere Menschen sich darauf selbstständig fortbewegen können. Und das endet dann nicht zuletzt mit der Unterbringung von pflegebedürftigen Menschen, die zu Hause nicht mehr alleine wohnen können. Die Frage ist auch, wie schaffe ich es denn, dass möglichst viele Menschen im Alter noch selbstständig leben können. Das sind die Herausforderungen, denen man sich stellen muss.
Video: Landkreis Cham – Herausforderung Mobilität im demografischen Wandel
Selbstständig leben zu können, das heißt auch mobil zu sein, zum Arzt zu kommen, den Supermarkt zu erreichen, Einkäufe im nächstgelegenen Zentrum zu erledigen. Im Landkreis Cham ist für ein Drittel der Bevölkerung die nächste Haltestelle einen Kilometer von ihrer Wohnung entfernt. Wie gehen Sie denn damit um?
Das ist ganz schwierig. Ich hab noch kein Patentrezept. Denn momentan haben wir die Situation, dass es noch zu wenige Menschen gibt, die wirklich auf den ÖPNV angewiesen sind. Wir haben zwar auch jetzt schon genügend ältere Menschen, die nicht mehr Autofahren können oder gar kein Auto haben, oder auch junge Menschen, die kein Auto haben. Aber es sind zu wenige. Die meisten haben irgendeinen Angehörigen oder Nachbarn, der sie dann schon fährt. Und das führt dazu, dass jedes ÖPNV-Angebot noch sehr schlecht nachgefragt wird, was dann auch später mit der Finanzierbarkeit zu tun hat. Also ist die Frage, wie ich es schaffe, die Menschen jetzt schon zum Umstieg auf den ÖPNV zu motivieren, wenn sie theoretisch noch anderweitig zum Arzt, zum Metzger oder sonst wohin kommen könnten.
Sie hatten auch mal einen ehrenamtlichen Bürgerbus im Landkreis Cham. Hat das funktioniert?
Das war in der Stadt Roding. Wir selbst in der Stadt Cham hatten noch keinen Bürgerbus, wir hatten ein Anrufsammeltaxi, vor etwa 13 Jahren. Das wurde dann wieder eingestellt, weil dieses Sammeln von Fahrgästen nicht funktioniert hat. Letzten Endes waren das lauter individuelle Taxifahrten. Und das ist dann schon die Frage, ob ich Taxifahrten mit Steuermitteln bezuschusse.
Wie ich das verstanden habe, möchten Sie den ÖPNV ausbauen und die Menschen zum Umstieg bewegen. Gibt es da ein Vorbild?
Beim Demografiedialog des Bundesinnenministeriums hier in Cham sind ganz viele Möglichkeiten angesprochen worden. Das Problem bei fast allen diesen Möglichkeiten beziehungsweise Projekten ist, es gibt noch keine Langzeiterfahrungen. Das heißt, man weiß nicht, was passiert, wenn die Förderperiode ausläuft. Viele dieser Projekte werden ja gefördert und damit sind sie dann auch finanzierbar, aber nach Auslauf der Förderung werden viele wieder eingestellt.
Was bedeutet das für Ihre Region?
Unser Problem ist, dass wir so dünn besiedelt sind. Das heißt, momentan ist der Bedarf noch so gering, dass ich eine vernünftige Frequenz gar nicht aufstellen kann. Eine Auslastung sowieso nicht. Ich weiß aber auch, dass der Bedarf in der Zukunft deutlich ansteigen wird aufgrund des Alterungsprozesses der Gesellschaft.
Sie haben den Demografiedialog bereits erwähnt, eine Initiative im Rahmen der Demografiestrategie der Bundesregierung. Wer war denn bei der Veranstaltung in Cham dabei?
Es waren Vertreter verschiedenster Richtungen dabei, zum Beispiel ein Busunternehmer, Bürgermeister, ein Seniorenbeiratsvorsitzender und auch jemand vom Jugendrat.
Was haben Sie mitgenommen?
Dass man einen sehr langen Atem haben muss. Man braucht nicht zu glauben, dass ein neues Angebot sofort angenommen wird, sondern die Menschen müssen sich erst mental darauf einstellen, dass es jetzt ein Angebot gibt und dass ich nicht mehr unbedingt selber mit dem Auto fahren muss. Und das zweite war, dass man so manche Ideen nach einigen Jahren wieder versuchen sollte.
Wie meinen Sie das?
Na ja, wenn eine Idee einmal gescheitert ist, heißt das noch lange nicht, dass sie in zehn Jahren wieder scheitert, weil dieser Mentalitätswandel zwar schleichend vonstattengeht, aber doch vorhanden ist. Und wir brauchen auch eine positive Einstellung der Menschen zum ÖPNV. Auf dem Land schaffen wir es nicht, nur mit denjenigen, die absolut keine andere Möglichkeit haben von A nach B zu kommen als mit dem ÖPNV.
Digitalisierung wird auch immer wieder im Zusammenhang mit innovativen Mobilitätsformen genannt, also auf Abruf, ohne Fahrplan, ohne feste Route. Wurde das beim Demografiedialog auch angesprochen?
Ja, das war auch ein Thema und wurde kontrovers diskutiert. Es gibt sicherlich einen Teil der potenziellen ÖPNV-Nutzer, die solche Möglichkeiten nutzen könnten. Das sind vor allen Dingen die Jüngeren, also zum Beispiel die Auszubildenden, die jetzt noch von den Eltern zum Ausbildungsplatz gefahren werden, die könnten mit einer App solche Möglichkeiten nutzen. Aber viele ältere Menschen sind nicht in der Lage, solche technischen Möglichkeiten zu nutzen. Teilweise, weil sie kein Smartphone haben und sie sind auch nicht damit aufgewachsen.
Werfen wir einen Blick in die Zukunft. Wenn Sie in 15 Jahren auf Cham und Umgebung schauen, wie werden die Leute von A nach B kommen?
Ich denke, dass 15 Jahre ein noch zu geringer Zeitraum ist, damit sich wirklich etwas Gravierendes ändert. Aber wenn wir jetzt von 30 Jahren sprechen würden, dann wird die Zahl derjenigen, die dringend auf den ÖPNV angewiesen sind, massiv gestiegen sein. Es wird sich auch ein Mentalitätswandel eingefunden haben, dahingehend, dass ich aus Umweltschutzgedanken, auch aus Kostengründen eher mit dem Bus fahre oder mit dem Zug als mit dem Auto.
Am Ende würde mich noch einmal Ihr persönliches Fazit zum Demografiedialog interessieren.
Ich würde ihn wirklich jeder Kommune empfehlen, nicht mit dem Hintergrund, dass da Patentlösungen präsentiert werden, sondern mit dem Hintergrund des Erfahrungsaustausches mit Kommunen aus anderen Bundesländern. Und mit dem Hintergrund, dass man Denkanstöße bekommt. Die Lösungen muss man dann schon selbst entwickeln, aber Denkanstöße von außen zu bekommen oder mit den verschiedensten Berufsgruppen zu sprechen, das war sehr interessant und auch sehr lehrreich.
Aktuelle Studien zeigen, dass das Auto in ländlichen Regionen nach wie vor das beliebteste Verkehrsmittel ist. Doch es gibt sie bereits in den Kommunen: die innovativen Mobilitätsansätze.
Das Projekt in 34 ländlichen Gemeinden in Schleswig-Holstein erhöht die Mobilität der Bürger und hat sich zu Deutschlands größten Mitfahrbank-Netzwerk entwickelt.
Der Bummelbus baut auf dem Prinzip eines „Anrufbusses“ auf: Mithilfe eines Computersystems werden nicht nur Anmeldungen für Fahrten aufgenommen, sondern auch Routen berechnet, die die Fahrtwünsche möglichst vieler Menschen mit ein und derselben Fahrt abdecken.
Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. Weitere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den folgenden Link: Datenschutz
OK