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Dirk Michaelis hat viele Baustellen. Als Leiter des Bauordnungsamts im dünn besiedelten Landkreis Stendal muss er sich um neun Städte und 268 Dörfer kümmern. Wie sich der demografische Wandel auf seine Arbeit auswirkt und wie man mit leerstehenden Gebäuden umgehen kann, darüber spricht er im Interview. Schon beim Demografiedialog des Bundesinnenministeriums am 29. Oktober 2019 in Stendal hat Michaelis betont: Städtebauförderung könnte besser funktionieren.
Können Sie den demografischen Wandel in Ihrer Region in den letzten Jahren beschreiben?
Seit 1990, also in den letzten 30 Jahren, haben wir rund 28 Prozent unserer Einwohner verloren. Das ist etwa ein Prozent pro Jahr. Jetzt resultiert der Bevölkerungsrückgang vorwiegend aus der natürlichen Bevölkerungsentwicklung. Das heißt, es sterben mehr Menschen als geboren werden. Die eigentliche Abwanderung ist deutlich zurückgegangen seit den 1990er Jahren. Treten die Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung so ein, würden ausgehend vom Stand 1990 bis zum Jahr 2030 rein von der Einwohnerzahl her alle 268 Dörfer im Landkreis verschwinden. Zudem wird die Region älter, das spüren wir auch. Gerade in den Dörfern wohnen mehr ältere, teilweise auch alleinstehende ältere Personen.
Sie kümmern sich im Landkreis Stendal um das Bauen, den Erhalt und die Umnutzung von Gebäuden. Wie stark wirkt sich der demografische Wandel auf Ihre Arbeit aus?
Schon recht deutlich. Bei den verschiedensten Facetten meiner Tätigkeit bin ich mit dem Thema konfrontiert. Neben der Bauaufsicht gehören auch der Denkmalschutz und die untere Landesentwicklungsbehörde zu unserem Aufgabenbereich. Die Kreisplanung ist dabei am stärksten mit dem demografischen Wandel konfrontiert, dessen Gestaltung ein wichtiges Handlungsfeld in unserer Region darstellt.
Vor welchen Herausforderungen stehen Sie da konkret?
Es geht vor allem um leerstehende Gebäude. Als sogenannte Gefahrenabwehrbehörde erhalten wir immer mehr Anzeigen von Anwohnern oder den Gemeinden selbst, dass Gefahren von dieser Bausubstanz ausgehen. Im Schnitt einmal pro Woche werden wir darüber informiert. Man merkt, dass zunehmend auch Baudenkmale leer stehen und weniger Leute da sind, die sich dafür interessieren.
Wie verteilt sich der Leerstand im Landkreis?
Das ist eine schwierige Frage. Wir sind auf jeden Fall flächendeckend von diesem Problem betroffen. Nicht wie andere Kreise, in denen die eine Hälfte boomt und die andere schrumpft. Die Leerstandsquote wird aktuell mit 18 Prozent angegeben. Ohne Rückbau, also Abriss, wird sich diese Quote bis 2030 grob geschätzt auf mindestens 24 Prozent erhöhen. Hier besteht extremer Handlungsbedarf.
Stehen denn eher Altbauten leer oder welche Gebäude sind besonders betroffen?
Das ist unterschiedlich. In den Dörfern sind es teilweise Wohnblöcke, die in den 1970er Jahren errichtet wurden. Beispielsweise gibt es in einem Dorf eine Forschungseinrichtung. Für diese wurden damals einige Wohnblöcke gebaut, die heute in diesem Umfang jedoch nicht mehr notwendig sind. Die überschüssigen Wohnungen wurden inzwischen abgerissen. So ähnlich ist es mit den Plattenbauwohnungen in der Hansestadt Stendal, die zurückgebaut wurden. Die Hansestadt Stendal ist für mich allerdings ein positives Beispiel für den Umgang mit Leerstand. Ansonsten sind es die etwas älteren Häuser, die heute nicht mehr so richtig zu den Nutzungsansprüchen der Bürger passen. Ein Fachwerkhäuschen findet oft von „Enthusiasten“ Zuspruch, aber die Mehrheit der Leute möchte etwas Neues bauen. Das sehen wir an den vielen neuen Einfamilienhäusern.
Es wird also neu gebaut, aber alte Fachwerkhäuser werden nicht saniert und stehen dann weiterhin leer?
Das kann man so pauschal auch nicht sagen, aber das Thema Sanierung ist noch ausbaufähig. Es ist einfach der Bürger mit seinen Vorstellungen. Sie können ja nicht sagen, du baust hier nicht neu, du hast zu sanieren. Das kriegt man nur über Förderung ein bisschen unterstützt.
Stichwort Förderung: Um Gebäude aufzuwerten, umzunutzen oder auch abzureißen gibt es Fördermittel. In welchem Bereich investiert der Landkreis am meisten?
Da ist der Landkreis eher Zuschauer. Die Fördermittel fließen direkt in die Städte, Gemeinden und Dörfer, aus verschiedenen Töpfen. Die Städtebauförderung des Bundes und des Landes hat hier bislang eine große Rolle gespielt. In den Dörfern greifen dann eher die Förderprogramme der ländlichen Entwicklung, was vermehrt aus den Umweltministerien kommt. Seit 1990 hat sich hier im Landkreis unheimlich viel bewegt. Aber wir dürfen jetzt auf keinen Fall denken „Das war`s, wir lehnen uns jetzt entspannt zurück“. Ohne weitere Förderung war alles umsonst, was bisher hier erfolgreich gelaufen ist.
Wie läuft Förderung jetzt aktuell und wie könnte es besser laufen?
Zunächst einmal eine Gegenfrage: Macht es Sinn, jedes Dorf alleine beim Dorfumbau zu fördern? Bei 268 Dörfern bei uns im Landkreis wohl kaum. Förderung sollte regional gedacht werden. Ein Landkreis ist für die Förderkulisse eine ideal zugeschnittene Region, schon aufgrund der darin vereinigten Zuständigkeiten. Man sollte die Stärken eines Landkreises herausfinden. Und dann auch konkret sagen, was hier erhalten bleiben sollte und was vielleicht nicht. Die Förderkulisse muss natürlich dieser integrierenden Sichtweise folgen. Viele Praktiker sehen die sektorale Herangehensweise der verschiedenen Förderkulissen sehr, sehr kritisch. Ein Förderinstrument kümmert sich um dieses, das andere Instrument um jenes.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Ja, da fällt mir ein Gebäude in der Hansestadt Werben bei uns im Landkreis ein. Das Gebäude wurde von der Bürgerinitiative wieder saniert. Zuerst von innen, weil da ein Fördertopf gut gepasst hat und schneller war. Das eigentlich Wichtige, die Gebäudehülle, wurde später nachgeschoben, weil das Geld hierfür aus einem anderen Fördertopf kam. Der Innenausbau kommt normalerweise zum Schluss. Und hier hat man das Ganze jetzt zwangsläufig ins Gegenteil verkehrt – und das kann natürlich auch schiefgehen.
Video: Landkreis Stendal – Herausforderung Stadt- und Dorfumbau im demografischen Wandel
Wie könnte es aus Ihrer Sicht besser laufen?
Die Kommission Gleichwertige Lebensverhältnisse hat eine Förderkulisse für die besonders betroffenen Regionen in Aussicht gestellt und ich hoffe, dass sie es natürlich auch wirklich so angeht. Das ist der Wunsch aus der unteren Ebene, die davon betroffen ist: Ein regionales Konzept, eine Förderkulisse, die sich auf den ganzen Landkreis erstreckt. Und dann sollte man mit Hilfe der daran angedockten Entwicklungskonzepte der Städte und Dörfer versuchen, Dinge umzusetzen. Am Stadtrand kann ein Haus durchaus auch weg, aber gerade in den Orts- und Stadtkernen sollte natürlich der Abriss die Ausnahme sein. Dann muss dort ganz schnell wieder an derselben Stelle ein Ersatzneubau stehen. Die Philosophie aus dem Stadtumbau, „Rückbau am Rand, Aufwerten im Kern“, sollte man als Region, als Landkreis denken. Das brauchen wir unbedingt. Die Wissenschaft unterstützt diesen Ansatz auch schon seit etlichen Jahren.
Wie kann das umgesetzt werden bei Ihnen?
Also wir können nur hoffen, dass der Bund diese Idee mit der neuen Förderkulisse auch so ideal aufgreift und umsetzt. Wichtig ist mir, dass sich Kleinstädte stabilisieren können. Diese haben im ländlichen Raum eine wichtige Funktion, da die Menschen dort beispielsweise einkaufen oder zum Arzt gehen.
Und was ist mit den Dörfern?
Wir haben hier auch sehr kleine Dörfer, 46 Dörfer mit weniger als 50 Einwohnern. Aber dieses komplette Verschwinden von Dörfern, was auch so viele Demografen für unsere Region prophezeien, da glaub ich nicht so richtig dran. Es wird immer Menschen geben, die auch gerade diese Ruhe und Abgeschiedenheit suchen. Den Lebenstraum von einem Haus auf dem Land zu verwirklichen, diesen Trend spüren wir hier auch. Der ländliche Raum mit der Idee der Entschleunigung scheint wieder „in“ zu sein.
Aber dann könnten leerstehende Gebäude aus Ihrer Sicht auch etwas Positives bewirken?
Kann man schon so sagen. Wir bieten auf dem Grundstücksmarkt ein sehr preisgünstiges Segment an. Das heißt natürlich im Umkehrschluss, dass die neuen Eigentümer noch viel Geld investieren müssen, um das Gebäude zu sanieren. Ein gutes Beispiel ist die sehr aktive Bürgerschaft in der Werbener Altstadt, die alte Fachwerkhäuser vermittelt. Mit den Beträgen, die dann in ein Haus fließen, könnte man allerdings zum Teil auch zwei Einfamilienhäuser neu bauen. Da greift dann auch wieder die Städtebauförderung, die in diesen Fällen entlastend wirkt.
Bürgerinnen und Bürger sind also wichtig, um leerstehende Gebäude wiederzubeleben, oder?
Ja, sie haben eine ganz wichtige Rolle. Informieren und für dieses Thema sensibilisieren, das können wir als Verwaltung leisten. Als Bauaufsicht sind wir sehr froh, wenn durch Bürgerinitiative Häuser saniert werden. In der 600-Einwohner-Stadt Werben sind es schon mindestens ein Dutzend Häuser.
Das wurde ja auch beim Demografiedialog des Bundesinnenministeriums in Stendal besprochen. Wie haben Sie die Veranstaltung erlebt?
Ich fand es sehr gelungen, es wurde ja auch rege diskutiert. Auch nach der Mittagspause waren die Stühle noch voll besetzt, das spricht für die Veranstaltung. Ich hoffe mal, dass der Bund sich jetzt bei der Neujustierung der ganzen Förderkulisse noch stärker auf die Bedürfnisse der Kommunen konzentriert.
Haben Sie sich schon einmal mit den lokalen Akteuren so ausgetauscht wie jetzt beim Demografiedialog?
Nein, dass wir uns als Akteure vor Ort so gezielt austauschen, das habe ich so noch nicht erlebt. Ich finde es wichtig, bei dem Thema am Ball zu bleiben. Und wenn das BMI sagt „Jetzt kommt mal zu uns und erzählt etwas aus Sicht der Fachleute aus der Region“, da wäre ich schnell in Berlin. Dieses eins zu eins Vermitteln von Themen finde ich wichtig.
Also von den Praktikern aus den Kommunen direkt zum Bund?
Michaelis: Ja, richtig.
Das Bundesinnenministerium organisierte den zweiten Demografiedialog in Stendal in Sachsen-Anhalt. Die Veranstaltung ist Teil der Dialogreihe „Regionen stärken – Disparitäten verringern“ im Rahmen der Demografiestrategie der Bundesregierung.
Das vielfach prämierte Förderprogramm soll junge Familien in der nordrhein-westfälischen Gemeinde Hiddenhausen halten.
Unter diesem Motto startete die Stadt Naumburg in Sachsen-Anhalt eine Verkaufsoffensive von Gebäuden in der Altstadt, um den Leerstand zu bekämpfen.
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