„Engagement stärkt das Selbstvertrauen und Vertrauen in Gesellschaft. Das schafft sofort gute Laune.“
Andreas Willisch, Jahrgang 1962, ist Soziologe und Biobauer. Als Vorstand des Thünen-Instituts e.V. koordiniert er gemeinsam mit dem Verein Neuland gewinnen e.V. das Programm „Neulandgewinner. Zukunft erfinden vor Ort“. Im Interview spricht er über die Menschen, die ihre ostdeutschen Dörfer und Kleinstädte mit Kreativität, Respekt und Beharrlichkeit lebenswerter machen.
Das Besondere sind die Menschen, die Neulandgewinner und Neulandgewinnerinnen, die beharrlich, kreativ und mit einer gehörigen Portion Eigensinn das Zusammenleben in ihren Dörfern und Kleinstädten freundlicher machen. Das sind Menschen von vor Ort, verwurzelt und gut integriert, die zu allermeist ihre tägliche Arbeit für die Gesellschaft für vollkommen selbstverständlich halten.
Wie gehen Sie vor? Wodurch zeichnet sich das Programm aus?
Das Neulandgewinner.-Programm beruht im Grunde auf drei Säulen: Erstens: Wir geben kein Thema vor. Wir wissen als Programmbüro nicht besser, was die Probleme vor Ort sind, sondern vertrauen auf die Problembeschreibung und Problemlösungen der Leute, die sich bei uns bewerben. Das schafft von Anfang an Vertrauen. Zweitens: Wir lassen die Leute nicht allein mit den Herausforderungen. Ein großer Teil unserer Arbeit besteht darin, die Neulandgewinnerinnen und Neulandgewinner zu begleiten, zuzuhören und Erfahrungen von anderen Projekten zu teilen. Das schafft das Gefühl, nicht allein zu sein. Und drittens: Wir machen die Menschen sichtbar. Gerade weil Neulandgewinnerinnen und Neulandgewinner ganz normale Nachbarn sind, werden ihre Leistungen für die Gesellschaft leicht übersehen. Die sind eher stille, im Krach der öffentlichen Debatten häufig unbemerkte Menschen. Das möchten wir ändern, weil wir der Überzeugung sind, dass die Neulandgewinnerinnen und Neulandgewinner für den eigentlichen Osten stehen – das Programm gibt es bisher nur in Ostdeutschland – für Kreativität, für aktives Engagement für andere, für Respekt und Empathie.
Welche Erkenntnisse und Modellprojekte aus Ihrer Arbeit sehen Sie zur Gestaltung des demografischen Wandels in ganz Deutschland?
Es gibt neben den Punkten auf denen das Programm aufbaut – also selber machen, statt machen lassen, sich mit anderen verbinden und sichtbar werden – zwei wichtige Erkenntnisse für die Gestaltung des demografischen Wandels: Zum einen braucht es gar nicht so viele Menschen, um in einem Dorf, einer Kleinstadt, die Stimmung, das Miteinander zu verändern. Auch wenn wir an vielen Orten weniger geworden sind, sind doch immer noch viele da und unter denen finden sich immer Neulandgewinnerinnen und Neulandgewinner. Das Programm gibt es jetzt seit 2012, wir starten gerade die 7. Förderrunde und die Aufmerksamkeit und der Bedarf nach dieser Art Unterstützung steigt weiter an. Zum anderen dürfen wir uns nicht von den demografischen Prognosen für 2030, 2040 oder 2050 den Blick auf die Gegenwart trüben lassen. Es kommt nicht darauf an, wie viele Menschen in einem Dorf wohnen, sondern wie sie ihr Zusammenleben gestalten. Das ist keine Frage der Zahl, sondern des Engagements.
In der laufenden Programmrunde fördern sie knapp die Hälfte der Neulandgewinnerprojekte in Sachsen. Wieso ist das so und was ist das besondere an ihrer Arbeit mit dem Freistaat Sachsen?
Wir hatten schon immer viele Bewerbungen aus Sachsen, insbesondere aus Ostsachsen, der Lausitz. Zudem arbeitet der Freistaat schon sehr lange mit der Demografierichtlinie, einem Förderprogramm, das sehr ähnlich vorgeht wie das Neulandgewinner.-Programm. Daher haben wir in der sächsischen Politik über Parteigrenzen hinweg schon früh viel Unterstützung erfahren. Ohne das Engagement von Franziska Schubert, Fraktionsvorsitzende für Bündnis 90/Die Grünen im Landtag, hätten wir nicht anfangen können und ohne die kontinuierliche Unterstützung durch Oliver Schenk, den Chef der Staatskanzlei, wären wir nicht soweit, dass wir jetzt vor dem Start der 7. Förderrunde stehen und auch schon über die 8. Runde nachdenken. In Sachsen, so meine Erfahrungen hier, ist früher als anderswo klar geworden, dass die Menschen gerade im ländlichen Raum ihre Gesellschaft auch selbst gestalten wollen, dass wir lernen können von dem, was die Leute vor Ort auf den Weg bringen, wenn wir vertrauen und zuhören.
Warum können Sie anderen Menschen empfehlen, sich mit neuen Ideen für die Region einzusetzen?
Zunächst einmal empfehle ich den Verantwortlichen in anderen Bundesländern, von Sachsen zu lernen. Förderprogramme, die auf den Erfahrungen der Menschen vor Ort aufbauen, die gemeinsame Lernprozesse anstoßen, die zudem die Vor-Ort-Lösungen sichtbar machen und die auch finanziell auskömmlich ausgestattet sind, gibt es viel zu wenige. Wir bieten da unsere Erfahrungen gerne an.
Was die Menschen vor Ort angeht, ist es so, dass dieses eigene Engagement, zu sehen, dass man nicht warten muss, bis irgendwer sich der Probleme annimmt, sondern, dass man das selbst auch kann, unmittelbar das Selbstvertrauen und das Vertrauen in Gesellschaft stärkt. Das hören wir immer wieder. Und es ändert die Stimmung. Wenn die Leute ihre Erfolge auch feiern, schafft das sofort gute Laune und das können wir alle in diesen Zeiten sehr gut brauchen.
Hintergrund
Das 2011 von der Robert Bosch Stiftung initiierte Programm „Neulandgewinner.“ ging 2022 in alleinige Verantwortung des Thünen-Instituts e.V. und des Vereins Neuland gewinnen e.V. über und wird seitdem maßgeblich vom Freistaat Sachsen getragen. Die Programmdurchführung beruht auf der Vision einer aktiven Bürgergesellschaft in den ländlichen Räumen Ostdeutschlands.
Mit der Förderrichtlinie Demografie unterstützt der Freistaat Sachsen vor allem in den ländlichen Regionen jedes Jahr Projekte, die dazu beitragen, den demografischen Wandel vor Ort zu gestalten.
Aktiv mit 65+? Die Generation in der nachberuflichen Phase ist für die sächsische Engagementlandschaft ein echtes Potenzial. Die Ehrenamtsagentur Sachsen macht es möglich.
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